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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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dem Wetter im Süden. Um es kurz zu machen, er vermisste seine Mutter. Und ihr Essen.
    Präsident Carter hatte alle begnadigt, die sich vor der Einberufung nach Vietnam gedrückt und das Land verlassen hatten. Sam kämpfte mit der Entscheidung, in Kanada zu bleiben oder nach Hause zurückzukehren.
    Viele seiner Freunde, die in der gleichen Situation waren wie er, hatten beschlossen, zu bleiben und die kanadische Staatsbürgerschaft anzunehmen, was nicht ohne Einfluss auf ihn blieb. Außerdem hatte er eine Freundin, von der seine Eltern jedoch nichts wussten.
    Manchmal fingen wir mit den Nachrichten an, aber häufig waren es die Nachrufe oder sogar die Kleinanzeigen. Da Miss Callie jedes in der Times gedruckte Wort las, wusste sie, wer einen Wurf Welpen zu verkaufen hatte oder einen guten, gebrauchten Sitzrasenmäher suchte. Und da sie jede Woche jedes Wort las, wusste sie auch, wie lange eine bestimmte kleine Farm oder ein Trailer auf dem Markt waren. Sie kannte alle Preise. Wenn während des Mittagessens ein Auto auf der Straße vorbeifuhr, fragte sie immer:
    »Was für ein Modell ist das?«
    »Ein Plymouth Duster, Baujahr 71«, antwortete ich.
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    Sie überlegte kurz und antwortete dann: »Wenn er blitzblank ist, kostet er so um die zweitausendfünfhundert Dollar.«
    Einmal musste Stan Atcavage ein sieben Meter langes Boot verkaufen. Seine Bank hatte es einem Kunden abgenommen, der den Kredit dafür nicht mehr abstottern konnte. Ich rief Miss Callie an. »Ja, ein Mann aus Karaway hat vor drei Wochen so ein Boot gesucht«, informierte sie mich. Anschließend suchte ich in den alten Kleinanzeigen, bis ich das Inserat gefunden hatte. Am nächsten Tag verkaufte Mr Atcavage ihm das Boot.
    Besonders gern las Miss Callie die offiziellen Ankündigungen, die ein lukratives Geschäft für die Zeitung darstellten. Urkunden, Zwangsvollstreckungen, Scheidungsanträge, Nachlassangelegenheiten, Insolvenzerklärungen, Anhörungen zu geplanten Annektierungen, Dutzende von offiziellen Ankündigungen mussten von Gesetz wegen in einer Zeitung des County veröffentlicht werden. Wir bekamen sämtliche Aufträge für solche Ankündigungen und berechneten gesalzene Preise dafür.
    »Ich habe gelesen, dass Mr Everett Wainwrights Nachlass eröffnet worden ist«, sagte Miss Callie.
    »Ich kann mich dunkel an seinen Nachruf erinnern«, murmelte ich mit vollem Mund. »Wann ist er gestorben?«
    »Vor fünf oder sechs Monaten. Der Nachruf war nicht gerade ein Meisterwerk.«
    »Ich muss mit dem arbeiten, was die Familie mir gibt.
    Haben Sie ihn gekannt?«
    »Er hatte viele Jahre ein Lebensmittelgeschäft in der Nähe der Schienen.« Ihr Tonfall machte deutlich, dass sie für Mr Everett Wainwright nicht viel übrig hatte.
    »Einer von den guten oder einer von den bösen Jungs?«
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    »Er hatte immer zwei Preise, einen für die Weißen und einen höheren für Neger. Seine Waren hatten nie Preisschilder, und er war der einzige Kassierer. Ein weißer Kunde rief: ›Mr Wainwright, was kostet diese Dose Kondensmilch?‹, und er brüllte zurück: ›Achtunddreißig Cent.‹ Eine Minute später sagte ich: ›Entschuldigen Sie, Mr Wainwright, aber was kostest diese Dose Kondensmilch?‹ Und er fuhr mich an: ›Vierundfünfzig Cent.‹ Er machte keinen Hehl daraus. Es war ihm egal.«
    Seit fast neun Jahren hörte ich nun Geschichten von früher. Manchmal dachte ich, mittlerweile kannte ich alle, aber Miss Callies Vorrat war unerschöpflich.
    »Warum habe Sie nicht woanders eingekauft?«
    »Es war das einzige Geschäft, in dem wir einkaufen konnten. Mr Monty Griffins Laden hinter dem alten Kino war viel schöner, aber dort konnten wir bis vor zwanzig Jahren nicht einkaufen.«
    »Wer hat sie davon abgehalten?«
    »Mr Monty Griffin. Ihm war es egal, ob man Geld hatte oder nicht. Er wollte keine Neger in seinem Laden.«
    »Und Mr Wainwright war das egal?«
    »Es war ihm nicht egal. Er wollte uns auch nicht haben, aber unser Geld hat er trotzdem genommen.«
    Sie erzählte mir von einem kleinen schwarzen Jungen, der in dem Laden herumgelungert hatte, bis Mr Wainwright ihn mit einem Besen verprügelt und hinausgeworfen hatte. Aus Rache war der Junge dann über längere Zeit hinweg ein- oder zweimal im Jahr in das Geschäft eingebrochen, aber nie erwischt worden. Er hatte Zigaretten und Süßigkeiten gestohlen und sämtliche Besenstiele zerbrochen.
    »Stimmt es, dass er sein ganzes Geld der Methodisten-381

    kirche vermacht hat?«, fragte sie.
    »Das

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