Die Liste
erzählt man sich jedenfalls.«
»Wie viel?«
»Etwa hunderttausend Dollar.«
»Die Leute sagen, dass er sich damit den Weg in den Himmel erkaufen wollte.« Ich hatte schon lange aufgehört, mich über den Klatsch zu wundern, den Miss Callie von der anderen Seite der Bahnlinie hörte. Viele ihrer Freundinnen arbeiteten drüben als Haushälterinnen. Sie wussten alles.
Einmal war Miss Callie auf das Thema Leben nach dem Tod zu sprechen gekommen. Sie machte sich große Sorgen um meine Seele und befürchtete, dass ich kein richtiger Christ sei, weil ich nicht »wiedergeboren« oder
»gerettet« war. Die Taufe in meiner Kindheit, an die ich mich gar nicht erinnern konnte, war ihrer Meinung nach völlig unzureichend. Sobald jemand ein bestimmtes Alter erreicht hatte – das »Alter der Mündigkeit« –, musste er den Mittelgang einer Kirche (welche dies sein sollte, war Gegenstand endloser Debatten) hinunterschreiten und sich öffentlich zu seinem Glauben an Jesus Christus bekennen, um nicht für alle Ewigkeit in der Hölle zu schmoren.
Miss Callie trug schwer daran, dass ich dies nie getan hatte.
Nachdem ich siebenundsiebzig Kirchen besucht hatte, musste ich zugeben, dass fast alle Bewohner von Ford County der gleichen Meinung waren wie sie. Es gab allerdings einige Variationen. Eine einflussreiche Sekte war die Kirche Jesu Christi. Ihre Mitglieder hingen der Vorstellung an, dass nur sie in den Himmel kommen würden. Jede andere Kirche predige eine »sektiererische Lehre«. Wie viele andere Kirchengemeinden glaubten sie außerdem, dass jemand, der das Heil gefunden hatte und 382
errettet worden war, diesen Status auch wieder verlieren konnte, wenn er sich nicht ordentlich benahm. Die Baptisten, in Ford County in der Mehrheit, vertrauten dagegen auf »einmal gerettet, immer gerettet«.
Für einige abtrünnige Baptisten in Clanton war dies offenbar ein sehr tröstlicher Gedanke.
Allerdings war noch nicht alles für mich verloren. Miss Callie war begeistert, dass ich so oft in die Kirche ging und das Evangelium hörte. Sie war fest davon überzeugt –
und betete auch unablässig dafür –, dass der Herr eines Tages mein Herz berühren würde. Ich würde dann selbstverständlich beschließen, dem Wort Gottes zu folgen, und sie und ich würden dann die Ewigkeit zusammen verbringen.
Miss Callie fieberte dem Tag entgegen, an dem sie in
»Seine Herrlichkeit eingehen« würde.
»Der Gottesdienst am Sonntag wird von Reverend Small gehalten«, sagte sie. Es war ihre wöchentlich wiederholte Einladung an mich, sie in ihre Kirche zu begleiten. Doch Reverend Small und seine langen Predigten waren zu viel für mich.
»Danke, aber am Sonntag besuche ich schon eine Kirche für meine Kolumne«, erwiderte ich.
»Gott segne Sie. Welche?«
»Die Maranatha-Urbaptisten.«
»Von dieser Kirche habe ich noch nie etwas gehört.«
»Sie steht im Telefonbuch.«
»Wo ist sie?«
»Ich glaube, irgendwo in Dumas.«
»Schwarz oder weiß?«
»Das weiß ich nicht genau.«
383
Nummer achtundsiebzig auf meiner Liste, die Kirche der Maranatha-Urbaptisten, war ein kleines Schmuckstück am Fuß eines Hügels. Sie stand an einem kleinen Fluss und war von einem Wäldchen aus Sumpfeichen umgeben, die mindestens zweihundert Jahre alt waren. Die Kirche war ein schmales, weiß angestrichenes Gebäude aus Holz, mit einem spitzen Blechdach und einem roten Kirchturm, der so hoch war, dass er zwischen den Zweigen der Eichen verschwand. Das Portal stand weit offen und hieß die Kirchgänger willkommen. Auf einem Grundstein war das Baujahr der Kirche verzeichnet: 1813.
Ich schlüpfte wie üblich auf einen Platz ganz hinten und kam neben einen gut gekleideten Herrn zu sitzen, der so alt wie die Kirche zu sein schien. An diesem Morgen zählte ich sechsundfünfzig Gläubige. Die Fenster standen offen. Draußen strich eine sanfte Brise durch die Bäume und nahm einem hektischen Morgen die Schärfe. Seit hundertfünfzig Jahren versammelten sich die Menschen hier schon. Sie saßen auf diesen Bänken, sahen durch diese Fenster, beteten zu demselben Gott. Der achtköpfige Chor sang ein langsames Kirchenlied, und ich glitt in ein anderes Jahrhundert hinüber.
Der Pastor war ein jovialer Mann namens J. B. Cooper.
Ich war ihm im Laufe der Jahre zweimal begegnet, als ich nach Informationen für meine Nachrufe gesucht hatte.
Meine Tour durch die Kirchen des County hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass ich alle Geistlichen kannte.
Und das war mir beim
Weitere Kostenlose Bücher