Die Liste
entgehen lassen. Trotzdem war mir nur zu bewusst, dass die meisten Leute in Zukunft nicht immer anwesend sein konnten und auf die Times angewiesen waren. Ich war entschlossen, sie über die Details auf dem Laufenden zu halten.
Wann immer mein Blick auf Lucien Wilbanks fiel, musste ich an die Schadenersatzklage auf eine Million Dollar denken. Er konnte nicht ernsthaft vorhaben, meine Zeitung zu verklagen. Oder doch? Aber weshalb? Wir hatten uns keine Beleidigung oder Verleumdung zuschulden kommen lassen.
Richter Loopus nickte einem anderen Gerichtsdiener zu, der eine Seitentür öffnete und den mit Handschellen gefesselten Danny Padgitt hereinführte. Er trug ein ordentlich gebügeltes weißes Hemd, leichte Baumwoll-hosen und bequeme Halbschuhe. Sein Gesicht war glatt rasiert, von Verletzungen war nichts zu sehen. Mit seinen vierundzwanzig Jahren war er ein Jahr älter als ich, aber er wirkte sehr viel jünger. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge und war ein hübscher junger Mann. Ich konnte mir nicht helfen, auf mich wirkte er wie ein College-Student. Als der Gerichtsdiener ihm die Handschellen abnahm, bedachte Padgitt ihn mit einem Grinsen. Während er sich im Sitzungssaal umsah, schien er einen Moment lang die allgemeine Aufmerksamkeit zu genießen. Seine Miene spiegelte die Zuversicht eines Mannes wider, dessen Familie unendlich viel Geld hatte und ihm schon aus dieser kleinen Klemme heraushelfen würde.
53
Direkt hinter ihm, auf der anderen Seite der Schranke, saßen seine Eltern und diverse andere Padgitts. Sein Vater Gill, Enkel des berüchtigten Clovis Padgitt, hatte einen Universitätsabschluss und war den Gerüchten nach in dem Clan für die Geldwäsche zuständig. Dannys Mutter war gut gekleidet und ziemlich attraktiv, was mir überraschend erschien bei einer Frau, die beschränkt genug war, einen Padgitt zu heiraten und sich für den Rest ihres Lebens auf der Insel wegsperren zu lassen.
»Ich sehe sie heute zum ersten Mal«, flüsterte Baggy mir zu.
»Und Gill?«, fragte ich.
»Hab ich vielleicht zweimal gesehen, aber in zwölf Jahren.«
Der Staatsanwalt des County, der diese Funktion nebenberuflich ausübte, hieß Rocky Childers, und Richter Loopus wandte sich an ihn. »Mr Childers, ich nehme an, dass die Staatsanwaltschaft gegen eine Freilassung auf Kaution ist.«
Childers stand auf. »Ja, Sir.«
»Aus welchen Gründen?«
»Weil es um zwei abscheuliche Verbrechen geht, Euer Ehren. Um eine bestialische Vergewaltigung im Bett des Opfers, vor den Augen der Kinder, gefolgt von einem Mord durch mindestens zwei Messerstiche. Der Angeklagte, Mr Padgitt, wollte fliehen.« Da es in dem Saal mucksmäuschenstill war, klang Childers’ Stimme übermäßig laut. »Mit großer Wahrscheinlichkeit besteht weiterhin Fluchtgefahr. Wenn Mr Padgitt aus dem Gefängnis entlassen wird, werden wir ihn nie wiedersehen.«
Lucien Wilbanks konnte es kaum abwarten, sich mit dem Richter und dem Staatsanwalt zu streiten. Sofort war er auf den Beinen. »Einspruch, Euer Ehren. Mein Mandant 54
hat keinerlei Vorstrafen und ist noch nie zuvor verhaftet worden.«
Richter Loopus blickte ihn ruhig über seine Lesebrille hinweg an. »Mr Wilbanks, ich hoffe, dass dies das letzte Mal war, dass Sie jemanden unterbrochen haben. Ich schlage vor, dass Sie sich wieder setzen. Wenn das Gericht etwas von Ihnen hören will, wird es sich schon melden.« Seine Stimme war eiskalt und klang fast verbittert, und ich fragte mich, wie oft sich die beiden in diesem Sitzungssaal schon in die Haare geraten waren.
Lucien Wilbanks ließ sich nichts anmerken; er hatte ein dickes Fell.
Childers unternahm einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit. 1959, vor elf Jahren, war ein gewisser Gerald Padgitt in Tupelo wegen Autodiebstahls angeklagt worden. Es dauerte ein Jahr, bis sich zwei Deputys gefunden hatten, die bereit waren, mit einem Haftbefehl auf Padgitt Island aufzukreuzen. Obwohl sie überlebten, waren ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt.
Entweder war Gerald Padgitt aus dem Land geflohen, oder er hatte sich irgendwo auf der Insel verschanzt. »Wo immer er auch sein mag, er ist nie gefunden und verhaftet worden«, schloss Childers.
»Jemals was von Gerald Padgitt gehört?«, fragte ich Baggy.
»Nichts.«
»Wenn der Angeklagte gegen Kaution entlassen wird, werden wir ihn nie wiedersehen«, wiederholte Childers.
»So einfach ist das, Euer Ehren.« Er setzte sich.
Wilbanks stand gemächlich auf und zeigte auf Childers.
»Der
Weitere Kostenlose Bücher