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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Zuhilfenahme von etlichen anonymen Quellen beschrieb ich detailliert, was sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag in der Benning Road zugetragen hatte. War ich mir einer Tatsache sicher, kam sie so ins Blatt, war ich mir nicht ganz sicher, bediente ich mich vager Umschreibungen, die aber genug versteckte Anspielungen enthielten, um meine Sicht der Dinge durchscheinen zu lassen. Zwischendurch war Baggy Suggs lange genug nüchtern, um Korrektur zu lesen und meine Artikel zu redigieren. Wahrscheinlich hatten wir es ihm zu verdanken, dass wir nicht vor Gericht gezerrt oder gleich erschossen wurden.
    Auf der zweiten Seite fand sich eine Skizze des Tatorts und ein großes Foto von Rhodas Haus, komplett mit Streifenwagen und Absperrung, das am Morgen nach dem Verbrechen geschossen worden war. Auch Michaels und Teresas Fahrräder und Spielzeuge waren zu sehen. In vielerlei Hinsicht war dieses Bild unheimlicher als ein Foto der Leiche, um das ich mich vergeblich bemüht hatte.
    Die unmissverständliche Botschaft lautete, dass hier Kinder gelebt hatten und in ein Verbrechen hineingezogen worden waren, das wegen seiner außergewöhnlichen Brutalität den meisten Menschen aus Ford County als irreal erschien.
    Wie viel hatten die Kinder gesehen? Das war die brennende Frage.
    Ich beantwortete sie in der Times nicht, versuchte aber, mich so weit wie möglich an eine Antwort heranzutasten.
    Nach einer Beschreibung des Hauses und der Anordnung der Zimmer berief ich mich wieder auf eine anonyme Quelle bei meiner Schätzung, dass die Betten der Kinder etwa zehn Meter von dem ihrer Mutter entfernt waren. Die 48

    Kinder waren vor Rhoda aus dem Haus geflohen und hatten unter Schock gestanden, als sie das Nachbarhaus erreichten. Sie waren in Clanton zu einem Arzt gebracht worden und unterzogen sich jetzt in Missouri einer Therapie. Sie hatten viel gesehen.
    Würden sie vor Gericht aussagen? Baggy hielt das für völlig ausgeschlossen; sie waren einfach noch zu klein.
    Aber ich warf die Frage trotzdem auf, damit die Leser etwas hatten, worüber sie kontrovers diskutieren oder sich ärgern konnten. Nachdem ich die Möglichkeit erörtert hatte, die Kinder vor Gericht erscheinen zu lassen, berief ich mich auf »Experten«, die übereinstimmend der Meinung seien, ein solches Szenario wäre unwahrscheinlich.
    Baggy genoss es, als Experte eingestuft zu werden.
    Rhodas Nachruf war so lang, wie es eben ging, doch angesichts der Tradition der Times war das nichts Ungewöhnliches.
    Am Dienstagabend gegen zehn ging die Zeitung in Druck; am Mittwochmorgen um sieben war der Clanton Square damit gepflastert. Zur Zeit des Konkurses war die Auflage auf weniger als zwölfhundert Exemplare gefallen, aber nach einem Monat unter meiner unerschrockenen Leitung hatten wir schon fast zweitausendfünfhundert Abonnenten, und fünftausend war ein realistisches Ziel.
    Anlässlich des Mordes an Rhoda Kassellaw druckten wir achttausend Exemplare, die überall auftauchten – in den Cafés am Clanton Square, im Gerichtsgebäude, auf den Schreibtischen der Angestellten des County und in den Banken. Wir starteten eine spezielle Werbeoffensive und verschickten in einer einmaligen Aktion dreitausend Gratisexemplare an potenzielle Abonnenten.
    Laut Wiley war es der erste Mord seit acht Jahren, und der Tatverdächtige war ein Padgitt! Es war eine wunder-49

    volle Sensationsgeschichte, und ich sah die Ereignisse als einmalige Chance. Natürlich war meine Präsentation des Verbrechens auf Schock ausgerichtet, sensationslüstern und blutrünstig. Natürlich war es Groschenblattjournalismus, aber warum sollte mich das kümmern?
    Ich hatte keine Ahnung, wie schnell die Reaktion kommen und wie unangenehm sie ausfallen sollte.

    Am Donnerstagmorgen um neun Uhr war der große Sitzungssaal im ersten Stock des Gerichtsgebäudes von Ford County bis auf den letzten Platz gefüllt. Dies war das Reich des ehrenwerten Reed Loopus, eines alternden Richters des Bezirksgerichts, der aus Tyler County kam und achtmal im Jahr in Clanton Recht sprach. Er war ein legendärer Kämpfer und führte ein eisernes Regiment.
    Laut Baggy Suggs, der während seiner Arbeitszeit meistens im Gericht herumhing, wo er Gerüchte entweder aufschnappte oder in die Welt setzte, war Loopus ein absolut aufrechter Richter, der es irgendwie geschafft hatte, den Schmiergeldern der Padgitts zu entgehen.
    Vielleicht lag es daran, dass er aus einem anderen County kam. Richter Loopus war der Überzeugung, Kriminelle

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