Die Liste
überlegt, wie ich eine solche Summe zusammenkratzen sollte. Aber allmählich machte sich die Wirkung des Whiskeys bemerkbar, und ich begann, mich zu entspannen. Es war ein Donnerstagabend, und in Clanton waren nur wenige Menschen auf der Straße. Alle 64
Läden und Büros am Platz waren geschlossen.
Baggy war schon lange entspannt, wie üblich. Margaret hatte mir ins Ohr geflüstert, er frühstücke immer mit einem einbeinigen Anwalt namens Major, und die beiden schätzten einen Schluck Bourbon zum Morgenkaffee. Sie trafen sich auf dem Balkon vor Majors Büro auf der anderen Seite des Clanton Square, wo sie rauchten, tranken und sich über Juristerei und Politik unterhielten, während unter ihnen das Gerichtsgebäude allmählich zum Leben erwachte. Seinen eigenen Worten nach hatte Major das Bein im Zweiten Weltkrieg auf Guadalcanal verloren.
Seine Kanzlei befasste sich ausschließlich mit Testamenten für alte Menschen. Da er sie selbst tippte, war eine Sekretärin überflüssig. Er arbeitete ungefähr so hart wie Baggy, und die beiden waren häufig im Sitzungssaal zu sehen, wo sie halb betrunken einem Verfahren beiwohnten.
»Vermutlich hat Mackey Don den guten Danny in der Suite untergebracht«, sagte Baggy, der mittlerweile schon schleppender sprach.
»In der Suite?«
»Ja. Schon mal in unserem Knast gewesen?«
»Nein.«
»Eigentlich kann man da nicht mal Tiere unterbringen.
Keine Heizung, keine frische Luft. Die Klospülung funktioniert nur manchmal. Üble Bedingungen, mieser Fraß. Und das ist noch die Vorzugsbehandlung für die Weißen. Schwarze werden am anderen Ende des Gebäudes untergebracht, in einer einzigen großen Zelle.
Da gibt’s als Toilette nur ein Loch im Boden.«
»Ich denke, ich werde mal vorbeischauen.«
»Der Knast ist eine Schande für das County, aber leider sieht es in den meisten Städten hier genauso aus. Wie auch 65
immer, in unserem Gefängnis gibt es eine kleine Zelle mit Klimaanlage, einem Teppich, einem sauberen Bett und einem Farbfernseher, und da kriegt man auch gutes Essen.
Sie wird Suite genannt. Dort bringt Mackey Don seine Lieblinge unter.«
Ich prägte mir seine Worte ein. Für Baggy war alles ganz normal, aber für mich, der ich vor kurzem noch auf dem College gewesen war und zumindest zeitweise Publizistik studiert hatte, hörte sich das nach einer echten Skandalstory an.
»Sie glauben, Padgitt ist in der Suite untergebracht?«
»Wahrscheinlich. Er ist in seinen eigenen Klamotten im Gericht erschienen.« ..
»Wie läuft es sonst?«
»Alle anderen müssen orangefarbene Overalls tragen.
Kennen Sie die nicht?«
Doch, ich hatte sie schon gesehen. Vor ungefähr einem Monat war ich einmal im Gericht gewesen, und jetzt erinnerte ich mich an zwei oder drei Angeklagte, die im Sitzungssaal auf den Richter gewartet und in unterschiedlichem Ausmaß verblichene Overalls getragen hatten, auf deren Vorder- und Rückseite FORD COUNTY
JAIL stand.
Baggy trank einen Schluck und sprach dann weiter. »Bei Vernehmungen zur Anklage und ähnlichen Gelegenheiten tragen diejenigen, die nicht auf Kaution draußen sind, immer Häftlingskleidung. Früher hat Mackey Don dafür gesorgt, dass die Angeklagten die Overalls selbst während des Verfahrens tragen mussten. Lucien Wilbanks hat es mal geschafft, dass ein Schuldspruch aufgehoben wurde.
Er konnte überzeugend darlegen, dass die Jury voreingenommen war, weil sein Mandant in dem orangefarbenen Overall hundertprozentig schuldig wirkte. Und er hatte 66
Recht. Es ist ziemlich schwierig, die Jury von der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen, wenn er Häftlingskleidung und Badeschlappen trägt.«
Wieder einmal wunderte ich mich über Mississippis Rückständigkeit. Ich stellte mir einen Angeklagten vor, vielleicht einen Schwarzen, der einer Jury gegenüberstand und ein faires Verfahren erwartete, aber Häftlingskleidung tragen musste, deren Sinn darin bestand, aus einem Kilometer Entfernung gesehen zu werden. »Der Krieg ist noch nicht zu Ende«, lautete ein Slogan, den ich in Ford County mehrfach gehört hatte. Hier gab es einen deprimierend hartnäckigen Widerstand gegen jede Veränderung, besonders, wenn es um Verbrechen und Bestrafung ging.
Am nächsten Mittag ging ich zum Gefängnis, um nach Sheriff Coley zu suchen. Unter dem Vorwand, ihm ein paar Fragen zum Fall Kassellaw stellen zu wollen, hoffte ich, so viele Häftlinge wie möglich zu Gesicht zu bekommen. Coleys Sekretärin teilte mir ziemlich unfreundlich mit, er
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