Die Liste
Hardy gelegentlich an Dienstagabenden beim Herstellen der neuen Ausgabe geholfen hatte, kannte er die Druckerei seit vielen Jahren gut.
Bei den meisten Leuten wäre der Neugier bald Panik gefolgt, doch bei Piston brauchte das seine Zeit. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Kanister tatsächlich mit Benzin gefüllt waren, und zu der Ansicht gelangt war, dass das Ganze gefährlich aussah, ging er in Margarets Büro, um Hardy anzurufen. Er berichtete ihm, das Ticken werde lauter.
Hardy rief die Polizei an, und um etwa neun Uhr wurde ich mit den Neuigkeiten aus dem Schlaf gerissen.
Als ich eintraf, war der größte Teil der Innenstadt bereits 73
evakuiert worden. Piston saß auf der Kühlerhaube eines Autos. Mittlerweile war er gründlich geschockt von dem Gedanken, wie knapp er mit dem Leben davongekommen war. Einige Bekannte und der Fahrer eines Krankenwagens kümmerten sich um ihn, und er schien die Aufmerksamkeit zu genießen.
Wiley Meek hatte die Benzinkanister fotografiert, bevor die Polizei sie in eine Seitengasse hinter dem Gebäude gebracht hatte. »Hätte die halbe Stadt in die Luft gejagt«, lautete seine amateurhafte Einschätzung der Bombe. Er rannte nervös herum und schoss weitere Fotos.
Der Polizeichef erklärte mir, der Bereich sei weiterhin abgesperrt, weil der Holzkasten noch nicht geöffnet und das Ticken nach wie vor zu hören sei. »Sie könnte explodieren«, erklärte er mit einem bedrohlichen Unterton, als wäre er der erste kluge Kopf, der die Gefahr erkannt hatte. Ich bezweifelte, dass er über viel Erfahrung mit Bomben verfügte, sagte aber nichts. Ein Kriminaltechniker des Bundesstaates sollte sich die Sache ansehen. Folglich wurde beschlossen, dass die vier Gebäude in der Häuserzeile so lange nicht betreten werden durften, bis der Experte mit seiner Arbeit fertig war.
Eine Bombe in Clanton! Diese Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und die Bewohner ließen alles liegen und stehen. Büros, Banken, Geschäfte und Cafés leerten sich, und es dauerte nicht lange, bis sich unter den großen Eichen an der südlichen Seite des Gerichtsgebäudes, also in sicherer Entfernung, eine große Menge Schaulustiger versammelt hatte. Sie blickten auf unser kleines Haus, offenbar besorgt und verängstigt, aber auch sensationslüstern. Eine Bombenexplosion hatten sie noch nie miterlebt.
Die Polizei von Clanton war durch die Deputys des Sheriffs verstärkt worden, und bald war jeder Uniformierte 74
aus dem ganzen County vor Ort. Sie irrten ziellos über die Bürgersteige und taten nichts. Sheriff Coley und der Polizeichef steckten ständig die Köpfe zusammen, beobachteten die Menge und brüllten dann und wann einen Befehl, aber falls einer befolgt wurde, war davon nichts zu bemerken. Für alle Anwesenden war unübersehbar, dass es keinerlei Einsatzübungen für Bombenalarm gegeben hatte.
Baggy brauchte einen Drink. Für mich war es noch zu früh, trotzdem folgte ich ihm in das Gerichtsgebäude. Wir stiegen im hinteren Teil eine enge Treppe hinauf, die ich noch nicht kannte, gingen durch einen voll gestopften Flur. Nach weiteren zwanzig Stufen standen wir in einem schmutzigen kleinen Zimmer mit niedriger Decke. »War früher mal der Besprechungsraum der Jury«, sagte Baggy.
»Später war hier die Bibliothek untergebracht.«
»Wie wird es jetzt genutzt?«, fragte ich und hatte fast ein wenig Angst vor der Antwort.
»Als Trinkzimmer.«
»Verstehe.« Der Raum war mit einem ramponierten, zusammenklappbaren Tisch möbliert, dem man den jahrelangen Gebrauch ansah, außerdem mit einem Dutzend nicht zueinander passender Stühle, die aus diversen Büros stammten und schließlich in diesem schmuddeligen Raum gelandet waren.
In einer Ecke stand ein kleiner, mit einem Vorhängeschloss gesicherter Kühlschrank. Natürlich hatte Baggy einen Schlüssel. Er nahm eine Flasche Bourbon heraus und schenkte sich einen großzügigen Schluck in einen Pappbecher ein. »Setzen Sie sich.« Wir schoben zwei Stühle ans Fenster und beobachteten die Ereignisse.
»Kein schlechtes Plätzchen, was?«, fragte Baggy stolz.
»Wie oft kommen Sie her?«
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»Zweimal die Woche, manchmal öfter. Dienstag- und Donnerstagmittag pokern wir hier.«
»Wer gehört zu der Runde?«
»Ist eine Geheimgesellschaft.« Er trank einen Schluck und leckte sich die Lippen, als hätte er einen Monat in der Wüste verbracht. Vor dem Fenster ließ sich eine Spinne an ihrem Netz herab. Auf den Fensterbrettern lag der Staub
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