Die Liste
gemeinsame Mahlzeiten plante. Mein Artikel über Miss Callie, Esau und ihre bemerkenswerten Kinder war fast fertig, aber ich zog die Recherchen in der Hoffnung auf 142
weitere Festessen auf der Veranda in die Länge.
Zuerst hatte ich ein Schuldgefühl empfunden, weil sie jeden Donnerstag ein so opulentes Mahl für mich zubereitete, von dem wir immer nur einen kleinen Teil aßen. Aber Miss Callie beruhigte mich – nichts wurde weggeworfen.
Gemeinsam mit ihrem Mann und vielleicht ein paar Freunden aß sie die Reste. »Mittlerweile koche ich nur noch dreimal pro Woche«, gestand sie mit einem Anflug von Beschämung.
Zum Nachtisch gab es Pfirsichpasteten und Vanilleeis, doch wir beschlossen, damit noch eine Stunde zu warten.
Sie servierte starken schwarzen Kaffee, und wir setzten uns in die Schaukelstühle, um mit dem Interview fortzufahren. Ich zog meinen Notizblock und einen Stift aus der Tasche und stellte ihr Fragen. Miss Callie gefiel es über alle Maßen, dass ich niederschrieb, was sie erwiderte.
Ihre ersten sieben Kinder hatten alle italienische Namen
– Alberto (Al), Leonardo (Leon), Massimo (Max), Roberto (Bobby), Gloria, Carlota und Mario. Nur Sam, ihr Jüngster, der den Gerüchten nach auf der Flucht war, hatte einen amerikanischen Namen. Während meines zweiten Besuchs hatte sie erzählt, sie sei in einem italienischen Haushalt in Ford County aufgewachsen, doch das sei eine sehr lange Geschichte, die sie sich für später aufheben wolle.
Die ersten sieben Sprösslinge hatten alle beim Abschluss der Burley-Street-Highschool – der Schule für Farbige – in ihren Klassen die Abschiedsrede gehalten. Später hatten sie alle promoviert und waren Professoren geworden. Die biografischen Details waren unerschöpflich, und Miss Callie konnte stundenlang über ihre Kinder reden.
Und so erzählte sie. Ich kritzelte Notizen auf meinen 143
Block, wippte sanft in dem Schaukelstuhl hin und her, lauschte dem Regen und schlief schließlich ein.
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aggy hatte einige Vorbehalte gegenüber dem Artikel über die Ruffins. »Das s
B
ind doch keine
Nachrichten « , meinte er, während er ihn las. Ich war mir sicher, dass Hardy ihm erzählt hatte, ich zöge eine große Titelgeschichte über die schwarze Familie in Betracht. »So was steht normalerweise auf Seite fünf.«
Wenn es nicht gerade einen Mord gab, sah Baggy auf der Titelseite am liebsten Artikel über aufregende Landstreitigkeiten, die in Gerichtssälen entschieden wurden, wo es keine Geschworenen gab, aber eine Hand voll halb schlafender Anwälte und einen neunzigjährigen Richter, den man für diesen Job exhumiert hatte.
Im Jahr 1967 hatte Spot mit seinen Nachrufen auf Schwarze Mut bewiesen, doch in den drei Jahren danach hatte die Times sich nur wenig für das interessiert, was auf der anderen Seite der Eisenbahnschienen passierte. Wiley Meek zögerte zunächst, mich nach Lowtown zu begleiten und dort ein Foto von Callie und Esau vor ihrem Haus zu schießen. Es gelang mir, den Fototermin auf einen Donnerstagmittag zu legen. Bei den Ruffins gab es gebratenen Catfish, Pfannkuchen aus Maismehl und Krautsalat. Wiley aß, bis er kaum noch Luft bekam.
Auch Margaret machte diese Story etwas nervös, aber sie ordnete sich wie immer dem Boss unter. Tatsächlich stand die ganze Belegschaft der Idee eher reserviert gegen-
über. Mir war’s egal. Ich tat das, was ich für richtig hielt, und außerdem stand ein großes Gerichtsverfahren vor der Tür.
Und so widmete die Times am Mittwoch, dem 20. Mai 1970 – in einer Woche, in der es nichts Berichtenswertes 145
über den Mord am Rhoda Kassellaw zu veröffentlichen gab –, über die Hälfte ihrer Titelseite den Ruffins. Über dem Artikel prangte eine fette Schlagzeile – SIEBEN
KINDER DER FAMILIE RUFFIN WURDEN
PROFESSOREN. Darunter zeigte ein großes Foto Calia und Esau auf ihrer Veranda. Beide lächelten stolz in die Kamera. Darunter hatten wir Highschool-Fotos von allen acht Kindern platziert, inklusive Sam. Mein Artikel begann so:
Als Calia Harris in der zehnten Klasse gezwungen war, die Schule zu verlassen, schwor sie sich, dass ihre Kinder nicht nur die Highschool, sondern auch das College abschließen würden. Das war 1926, und Calia
– oder Callie, wie sie sich heute lieber nennen lässt –
war mit fünfzehn Jahren das älteste von vier Kindern.
Als ihr Vater an Tuberkulose starb, wurde Schulbildung zu einem Luxus. Bis 1929 arbeitete Callie für die Familie DeJarnette, dann
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