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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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mittlerweile gut.
    Der Bezirksstaatsanwalt arbeitete gründlich, fasste sich aber überraschend kurz. Als er zum letzten Mal um einen Schuldspruch bat, beobachteten wir die Gesichter der Geschworenen. Ich konnte keine Sympathie für den Angeklagten entdecken. Fargarson, der verkrüppelte Junge, nickte bei Gaddis’ Ausführungen sogar. Mr John Deere hatte seine Arme entknotet und lauschte auf jedes Wort.
    Wilbanks fasste sich noch kürzer, aber er hatte auch kaum Material, mit dem er hätte arbeiten können. Er begann mit den letzten Worten seines Mandanten an die 220

    Geschworenen und entschuldigte sich für dessen Verhalten, das er dem Druck zuschrieb, unter dem er im Augenblick stehe. Stellen Sie sich vor, bat er die Geschworenen, wie es ist, wenn einem mit vierundzwanzig ein Leben im Gefängnis oder, noch schlimmer, die Gaskammer droht. Der Stress für seinen jungen Mandanten, den er immer nur »Danny« nannte, als wäre er ein unschuldiger kleiner Junge, sei so enorm, dass er um dessen seelisches Gleichgewicht fürchte.
    Da er schlecht die alberne Verschwörungstheorie seines Mandanten weiterverfolgen konnte und es tunlichst vermeiden wollte, das Beweismaterial anzusprechen, verbrachte er etwa eine halbe Stunde damit, die heldenhaf-ten Väter unserer Verfassung und der ersten zehn Verfassungszusätze zu preisen. So wie er die Unschuldsvermutung und den über jeden Zweifel erhabenen Beweis interpretierte, war es ein Wunder, dass überhaupt jemals ein Verbrecher verurteilt wurde.
    Die Anklage hatte das Recht auf eine Erwiderung, die Verteidigung nicht. So behielt Gaddis das letzte Wort. Er ignorierte das Beweismaterial und erwähnte den Angeklagten mit keinem Wort, sondern sprach stattdessen von Rhoda Kassellaw. Von ihrer Jugendlichkeit und Schönheit, von dem einfachen Leben draußen in Beech Hill, dem Tod ihres Mannes und der schweren Aufgabe, zwei kleine Kinder allein großzuziehen.
    Das zeigte große Wirkung, und die Geschworenen lauschten gebannt. »Wir dürfen sie nicht vergessen«, wiederholte Gaddis immer wieder. Als brillanter Redner sparte er sich das Beste für zuletztauf.
    »Und wir dürfen ihre Kinder nicht vergessen«, sagte er und sah den Geschworenen dabei in die Augen. »Sie waren dabei, als sie starb. Was sie gesehen haben, war so entsetzlich, dass sie für immer Narben davontragen 221

    werden. Sie haben hier in diesem Sitzungssaal eine Stimme, und diese Stimme ist die Ihre.«
    Richter Loopus las den Geschworenen seine Instruktionen vor und schickte sie dann zur Beratung. Es war siebzehn Uhr. Um diese Uhrzeit waren die Geschäfte am Clanton Square geschlossen und Kaufleute und Kunden längst fort. Normalerweise herrschte kaum Verkehr, und man fand mühelos einen Parkplatz.
    Aber nicht, wenn Geschworene berieten.
    Ein Großteil der Menge lungerte rauchend und schwatzend auf dem Rasen vor dem Gericht herum, wobei jeder abzuschätzen versuchte, wie lange die Urteilsfindung dauern mochte. Ginger folgte mir zu meinem Büro, wo wir uns auf dem Balkon niederließen und das Treiben rund um das Gerichtsgebäude beobachteten. Sie war emotional ausgelaugt und wollte nichts anderes, als Ford County so schnell wie möglich verlassen.
    »Wie gut kennst du Hank Hooten?«, fragte sie irgendwann.
    »Nur vom Sehen. Warum?«
    »Er hat mich in der Mittagspause abgefangen und mir erzählt, dass er Rhoda gut kannte. Er sagte, er weiß genau, dass sie nicht herumgeschlafen hat, und schon gar nicht mit Danny Padgitt. Ich habe gesagt, dass ich nicht eine Sekunde lang geglaubt habe, dass sie was mit diesem Drecksack hatte.«
    »Hat er gesagt, dass er selbst was mit ihr hatte?«
    »Dazu hat er sich nicht geäußert, aber ich hatte den Eindruck, dass da was war. Als wir eine Woche oder so nach der Beerdigung ihre Sachen durchgingen, habe ich seinen Namen und seine Telefonnummer in ihrem Adressbuch gefunden.«
    222

    »Du kennst doch Baggy?«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Also, Baggy hat schon immer hier gelebt und denkt, er weiß alles. Er hat mir, als der Prozess am Montag anfing, erzählt, Rhoda und Hank Hooten hätten ein Verhältnis gehabt. Er sagte, Hooten sei ein paarmal verheiratet gewesen und halte sich für einen Frauenhelden.«
    »Er ist also nicht mehr verheiratet?«
    »Ich glaube nicht. Ich werde Baggy fragen.«
    »Wahrscheinlich sollte ich mich freuen, dass meine Schwester was mit einem Juristen hatte.«
    »Wieso das?«
    »Keine Ahnung.«
    Sie hatte ihre hohen Schuhe ausgezogen, und ihr kurzer Rock war weit nach

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