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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Stunden, die uns blieben, das Beste zu machen.
    In Memphis hielten wir auf die Hochhäuser am Fluss zu.
    Das bekannteste Restaurant der Stadt war ein Sparerib-Lokal namens »Rendezvous«, das man als Einheimischer einfach kennen musste. Es gehörte einer griechischen Familie. Fast alle guten Speiselokale in Memphis befanden sich in griechischem oder italienischem Besitz.
    1970 war die Innenstadt von Memphis noch ein gefährlicher Ort. Ich stellte den Wagen in einer Park-garage ab, und wir hasteten durch eine Gasse zum Eingang des »Rendezvous«. Der Rauch von den Grillfeuern stieg aus den Lüftungsklappen und hing wie ein dichter Nebel zwischen den Gebäuden. Es war der köstlichste Duft, den ich kannte, und wie die meisten Gäste war ich völlig ausgehungert, als wir die Treppe zum Restaurant hinuntergestiegen waren.
    Donnerstag war ein ruhiger Tag. Wir warteten fünf Minuten, bis mein Name aufgerufen wurde. Ein Kellner führte uns im Zickzack zwischen den Tischen hindurch in die kleineren Nebenräume im Inneren der Gewölbe. Er zwinkerte mir zu, als er uns einen Zweiertisch in einer dunklen Ecke gab. Wir bestellten Spareribs und Bier und fummelten aneinander herum, während wir warteten.
    Der Schuldspruch war eine große Erleichterung. Ein anderes Urteil hätte eine Katastrophe für jeden Staatsbürger dargestellt, und Ginger hätte die Stadt fluchtartig und auf Nimmerwiedersehen verlassen. Nun würde sie Clanton zwar morgen fluchtartig verlassen, aber für den Augenblick gehörte sie noch mir. Wir tranken auf das Urteil. Für Ginger bedeutete es, dass, die Gerechtigkeit 226

    obsiegt hatte. Für mich ebenfalls, aber es hieß auch, dass uns eine weitere gemeinsame Nacht blieb.
    Sie aß wenig, und ich machte mich über ihre Spareribs her, nachdem ich meine Portion vertilgt hatte. Ich erzählte von Miss Callie und den Mittagessen auf ihrer Veranda, von ihren bemerkenswerten Kindern und ihrer Lebensgeschichte. Ginger sagte, sie bewundere Miss Callie und die anderen elf Geschworenen.
    Diese Bewunderung sollte nicht lange anhalten.

    Wie zu erwarten war, hatte sich mein Vater in der Mansarde verschanzt, die er als Büro bezeichnete. In Wirklichkeit handelte es sich um das oberste Stockwerk eines viktorianischen Eckturmes an der Vorderseite unseres schäbigen, ungepflegten Hauses mitten in Memphis.
    Ginger hatte es sehen wollen, und in der Dunkelheit wirkte es wesentlich eindrucksvoller als bei Tageslicht. Es stand in einem bezaubernden alten Viertel mit schattigen Straßen voller verfallender Häuser, die einst wohlhabenden Familien gehörten, welche nun tapfer in edler Armut lebten.
    »Was tut er da oben?«, wollte sie wissen. Wir saßen in meinem Auto, das mit abgestelltem Motor am Straßenrand stand. Vier Häuser weiter bellte uns Mrs Duckworths uralter Schnauzer an.
    »Das habe ich dir doch schon gesagt. Er handelt mit Wertpapieren.«
    »Nachts?«
    »Er betreibt Marktforschung und geht nie aus dem Haus.«
    »Verliert er Geld?«
    »Zumindest verdient er keins.«
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    »Sollen wir ihn besuchen?«
    »Nein, darüber würde er sich nur ärgern.«
    »Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Vor drei oder vier Monaten.« Ein Besuch bei meinem Vater war das Letzte, wonach mir im Augenblick der Sinn stand. Ich wurde von Lust verzehrt und wollte endlich zur Sache kommen. Wir fuhren aus dem Stadtzentrum hinaus in die Vorstädte und fanden ein Holiday Inn in der Nähe des Interstate.
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    19
    ls ich am Freitagmorgen im Gang vor dem Sitzungssaal Esau Ruffin begegnete, hatte dieser A
    eine angenehme Überraschung für mich. Er befand sich in Begleitung seiner Söhne Al, Max und Bobby (Alberto, Massimo und Roberto), die mich kennen lernen wollten.
    Ich hatte mit allen dreien einen Monat zuvor telefoniert, als ich an der Reportage über Miss Callie und ihre Kinder geschrieben hatte. Wir schüttelten uns die Hand und wechselten ein paar freundliche Worte. Sie dankten mir höflich für meine Freundschaft mit ihrer Mutter und für den wohlwollenden Bericht über ihre Familie. Ihre Stimme war ebenso leise, angenehm und deutlich wie die von Miss Callie.
    Sie waren am Vorabend eingetroffen, um sie moralisch zu unterstützen. Esau hatte in der ganzen Woche nur einmal mit ihr gesprochen – jeder Geschworene durfte einmal telefonieren –, und es ging ihr gut, aber sie machte sich Sorgen wegen ihres Blutdrucks.
    Wir unterhielten uns kurz, während die Menge in den Saal drängte, und gingen zusammen hinein. Die Ruffins saßen

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