Die Liste
Donnerstagmorgen überstürzt Gingers Motelzimmer verließ. Ich wirkte müde, übernächtigt, irgendwie schuldbewusst, aber gleichzeitig merkwürdig zufrieden.
»Wer hat es gemacht?«, wollte ich wissen.
»Einer meiner Leute, der an einem Scheidungsfall arbeitet. Als er Ihr kleines Kommunistenauto an dem Abend vorfahren sah, hat er sich ein Späßchen erlaubt.«
»Er war nicht der Einzige, der Spaß hatte.«
»Eine tolle Frau. Er hat versucht, durch die Vorhänge zu fotografieren, aber der Winkel stimmte nicht.«
»Soll ich es für Sie signieren?« ….
»Behalten Sie’s.«
Nach dreistündigen Beratungen übergaben die Geschworenen Richter Loopus einen Zettel mit einer Nachricht. Die Beratungen waren festgefahren und machten kaum Fortschritte. Der Richter rief die Zuschauer herbei, und wir rasten über die Straße.
Wenn die Geschworenen nicht einstimmig für die Todesstrafe stimmten, zwang das Gesetz den Richter, eine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verhängen.
Furcht packte die Menge, während sie auf die Geschworenen wartete. Etwas lief da schief. Hatten die Padgitts ihr Ziel schließlich doch erreicht?
Miss Callies Gesicht war wie versteinert. So hatte ich sie noch nie gesehen. Mrs Barbara Baldwin hatte offenkundig geweint. Mehrere den Männer sahen aus, als wären sie gewaltsam daran gehindert worden, sich an die Gurgel zu gehen, und hätten sich am liebsten weitergeprügelt.
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Der Sprecher der Geschworenen erhob sich und erklärte dem Gericht nervös, die Geschworenen seien geteilter Meinung und hätten während der letzten Stunde keinerlei Fortschritte gemacht. Er sehe keine Möglichkeit für ein einstimmiges Urteil, und alle wollten nun nach Hause.
Richter Loopus fragte alle Geschworenen einzeln, ob sie ein einstimmiges Urteil für möglich hielten. Alle antworteten mit Nein.
Ich konnte spüren, wie die Menge wütend wurde. Die Leute fingen an zu flüstern, was die Aufgabe der Geschworenen nicht gerade erleichterte.
Nun ließ Richter Loopus seine »Sprengladung« hoch-gehen, wie Baggy es später nannte, eine improvisierte Lektion über die Einhaltung des Gesetzes und die Erfüllung der bei der Auswahl der Geschworenen eingegangenen Verpflichtungen. Es war eine strenge, langwierige Ermahnung, hinter der nicht zuletzt die nackte Verzweiflung stand.
Es half nichts. Zwei Stunden später hörte der Saal zum allgemeinen Entsetzen, dass Richter Loopus auf seine erneute Befragung der Geschworenen dieselben Antworten erhielt. Widerwillig bedankte er sich bei ihnen und schickte sie nach Hause.
Als sie weg waren, rief er Danny Padgitt zu sich und kanzelte ihn in aller Öffentlichkeit ab, dass es mir kalt über den Rücken lief. Er nannte ihn einen Vergewaltiger, Mörder, Feigling, Lügner und vor allem einen Dieb, der zwei kleinen Kindern den einzigen verbliebenen Elternteil geraubt habe. Es war ein glühender, vernichtender Angriff.
Ich versuchte, Wort für Wort mitzuschreiben, aber die Attacke war so mitreißend, dass ich damit aufhörte und gebannt lauschte. Ein fanatischer Straßenprediger hätte die Sünde nicht schlimmer verfluchen können.
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Hätte es in seiner Macht gestanden, dann hätte er ihn zum Tod verurteilt, und zwar zu einem langsamen und qualvollen Tod.
Aber Recht blieb Recht, und er musste sich an die Gesetze halten. Er verurteilte ihn zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und befahl Sheriff Coley, ihn sofort ins Staatsgefängnis von Parchman zu schaffen. Coley ließ die Handschellen um Padgitts Gelenke schnappen, und dann war er fort.
Loopus knallte den Hammer auf den Tisch und stürzte aus dem Saal. Hinten im Sitzungssaal brach ein Kampf aus, als einer von Dannys Onkeln an Doc Crull geriet, einen örtlichen Barbier und bekannten Heißsporn. Schnell versammelte sich eine Menschenmenge um die beiden, und mehrere andere verfluchten die Padgitts und sagten, sie sollten sich auf ihre Insel zurückscheren. »Zurück in euren Sumpf!«, brüllte jemand immer wieder. Die Deputys sorgten für Ordnung, und die Padgitts verließen den Saal.
Die Menge lungerte noch eine Weile herum, als wäre der Prozess noch nicht vorüber und der Gerechtigkeit nicht Genüge getan. Wütende Flüche wurden laut, und ich bekam eine Ahnung davon, wie Lynchjustiz zustande kommt.
Ginger blieb verschwunden. Sie hatte zwar gesagt, sie komme im Büro vorbei, wenn sie im Hotel ausgecheckt habe, um sich zu verabschieden, aber offenbar hatte sie ihre Meinung geändert. Ich sah sie vor mir, wie sie
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