Die Listensammlerin
natürlich nichts gegen Deutsche, nichts an sich. Erst recht nicht gegen Deutschland, insbesondere nicht gegen die BRD . BRD oder die sowjetische Heimat – die Wahl würde ihm nicht schwerfallen. Er wollte diesen Deutschen (er kam aus der BRD , aus dem echten Deutschland also, was zum Zweck genau passte) auch gerne kennenlernen. Er wusste nur nicht, irgendwo tief in sich drinnen, ob ein Deutscher der Richtige war, wenn es um das wichtigste Werk seines Lebens ging. Wenn es darum ging, das Leben (und nicht nur das seine) zu verändern. Andererseits, wenn der Deutsche die Bilder in der BRD an die Öffentlichkeit bringen könnte, wenn sie von dort vielleicht auch den Rest der Welt erreichten … Vielleicht würde er, wenn er dann nicht schon lange in einem Gefängnis, Arbeitslager oder, schlimmer noch, in einer Psychiatrie saß, Deutschland noch zu Gesicht bekommen.
Wenn sie als Kinder Krieg gespielt hatten, hatte er nie bei den Weißen mitgespielt. Keiner wollte weiß sein, alle wollten der Roten Armee angehören, aber er hatte es tatsächlich so gedeichselt und sich immer herausgeredet oder gelogen («Ich war doch vorgestern Deutscher!», «Aber klar war ich das!») oder sich dem Spiel entzogen und nie ein Deutscher sein müssen (er konnte mit dieser Tatsache nicht angeben, damit die anderen ihn nicht doch zum Schicksal eines Weißen verdonnerten). «Hände hoch» und «Guten Tag» konnte er sagen, und stammte «Butterbrot» nicht auch aus dem Deutschen? Viel mehr fiel ihm nicht ein.
Seine Schwester war auch ganz begeistert von dem Deutschen, sie hatte ihn selbst angeschleppt, ihn bei einem Vortrag über Tolstoj und irgendwas kennengelernt. Das «Irgendwas» hatte er vergessen, er hörte schon lange nicht mehr zu, wenn seine Schwester von Tolstoj schwärmte, als wäre sie in ihn verliebt, und nicht in Sascha. Er hatte schon in der Schule nicht zugehört, als die Literaturlehrer über Tolstoj schwadroniert hatten. Der Deutsche hatte ihr eine deutsche Ausgabe (westdeutsche!) von «Krieg und Frieden» geschenkt, und nun stand das Buch in der Vitrine, und sie hatte es ihm schon zweimal gezeigt, als er Sascha und seine kleine Nichte besuchen kam. Seine Schwester sammelte immer noch, weniger zwar als früher, aber doch immer noch, nämlich momentan verschiedene Ausgaben von «Krieg und Frieden», wie er weiterhin seine Listen sammelte, aber das sagte er natürlich nicht laut, erst recht nicht zu ihr. Seine Schwester reizte ihn in letzter Zeit zunehmend, aber dass sie den Deutschen mochte, auch über die gemeinsame Liebe zu Tolstoj hinaus, freute ihn, er legte trotz allem Wert auf ihre Menschenkenntnis.
Seine Schwester wollte den Deutschen auch der Mutter vorstellen, was er für eine ganz schlechte Idee gehalten hatte. Der Krieg und seine Mutter, sein Vater lebte nicht mehr, aber er war an der Front gewesen, so ungefähr hatte er das seiner Schwester gegenüber formuliert, aber sie hatte abgewunken, Mama habe sich sehr gefreut, als sie sagte, dass Sascha und sie gerne ihren neuen deutschen Freund mitbringen würden, und sich sofort Gedanken darüber gemacht, was für einen Kuchen sie backen würde. Äpfel gab es derzeit überall, aber ein einfacher Apfelkuchen für einen Deutschen – vielleicht lieber etwas mit Creme … Weiter hatte er nicht zugehört.
Es war wirklich schade und ärgerlich, dass Asad nicht zu gebrauchen gewesen war. Clan hin oder her, Journalisten kannte er keine, weder in Somalia noch sonst irgendwo, erst recht keinen amerikanischen Journalisten hier in Moskau. Und jetzt hatte er ihn am Hals. Den Schwarzen, der überall aufzutauchen schien, wo er war, nun auch seine ganze Gruppe kannte und unbedingt mitmachen wollte, obwohl er nichts tun konnte, und immer nur fragte, aber wann, wann, wann.
Asad also und kein anderer Ausländer außer dem Deutschen in Sicht, noch so viel zu tun, wo zum Beispiel sollte er ein Auto herbekommen oder ein neues Blitzlicht? Er kannte keine Bonzen mit Auto, und alle, die er kannte, wollten aus Prinzip keine Bonzen mit Auto kennen, geschweige denn, diese um einen Gefallen bitten. Er zog den Reißverschluss seiner blauen Trainingsjacke zu, bevor er aus der Trambahn sprang, Hasenkopf hatte diese modischen Jacken besorgt. Beim Herausspringen sah er ein altes Mütterchen hinter sich, drehte sich sofort um, gab ihr die Hand, hielt sie bei der letzten, größten Stufe am Arm fest und half ihr so heraus. Er lächelte, als sie mit beiden Füßen auf dem Asphalt stand.
«So, jetzt
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