Die Löwen
nachdem er Jane verloren hatte, brauchte er wenigstens einen Menschen, dessen Liebe von Dauer war.
Während er wartete, kam Gill ins Zimmer. Seine frühere Frau wirkte kühl und beherrscht.
Sie trug ein weißes Sommerkleid. Er küsste sie auf die dargebotene Wange. »Wie geht es dir?« fragte sie.
»Wie immer. Und dir?«
»Ich habe unglaublich viel zu tun.« Sie fing an, ihm ausführlich zu erzählen, was sie alles zu tun hatte, und wie stets schaltete Ellis ab. Er mochte sie, doch langweilte sie ihn zu Tode. Sonderbarer Gedanke, dass er einmal mit ihr verheiratet gewesen war.
Aber sie war das hübscheste Mädchen auf dem College gewesen und er der gescheiteste Junge, und es war 1967, wo jeder kiffte und alles möglich war, zumal in Kalifornien. Am Ende ihres ersten gemeinsamen Jahres heirateten sie, ganz in Weiß, und irgendwer klimperte dazu den Hochzeitsmarsch auf dem Sitar. Dann rasselte Ellis durch seine Examina und musste das College verlassen, woraufhin er prompt eingezogen wurde, und statt nach Kanada oder Schweden abzuhauen, wie damals viele in seiner Lage, ging er brav wie ein Lamm zur Musterung, was alle verblüffte, ausgenommen Gill, der zu diesem Zeitpunkt längst klar war, dass es mit ihrer Ehe nicht klappte, und die erwartet hatte, dass Ellis sich auf irgendeine Weise aus dem Staube machen würde.
Später lag er dann mit einer Wadenwunde in Saigon im Lazarett - die häufigste Verwundung bei Hubschrauberpiloten, weil zwar ihr Sitz gepanzert war, der Boden jedoch nicht. Während seines Lazarettaufenthalts erhielt er das Scheidungsurteil. Irgendwer warf, als er gerade auf dem Klo war, die Mitteilung auf sein Bett, dazu ein weiteres Oak Leaf Cluster, ein › Eichenlaub ‹ , sein fünfundzwanzigstes - damals wurden jede Menge Orden verliehen. Ich bin gerade geschieden worden, hatte er gesagt, und der Soldat im Bett daneben hatte erwidert: Ist ja irre. Woll’n wir ‘n bisschen Karten spielen?
Das Baby hatte Gill ihm verschwiegen, doch ein paar Jahre später fand er’s heraus: Als er Spion wurde und zu Übungszwecken Gill beschattete. Er entdeckte, dass sie eine Tochter namens Petal hatte (ein Name, auf den man Ende der sechziger Jahre viele Mädchen taufte) und einen Mann namens Bernard, der einen sogenannten
› Fruchtbarkeitsspezialisten ‹ konsultierte. Dass sie ihm Petal unterschlagen hatte, war die einzige wirkliche Gemeinheit, die er Gill ankreidete, dachte Ellis, wenngleich sie noch immer behauptete, es sei zu seinem eigenen Besten geschehen.
Er hatte darauf bestanden, Petal hin und wieder zu besuchen, und schließlich brachte er sie dazu, Bernard nicht mehr › Daddy ‹ zu nennen. Doch Teil der Familie – oder doch des Familienlebens - zu werden, versuchte er erst seit einem Jahr.
»Willst du mein Auto nehmen?« fragte Gill. »Wenn’s dir recht ist.« »Natürlich ist’s mir recht.«
»Danke.« Es war ihm peinlich, sich Gills Auto leihen zu müssen, doch die Fahrt von Washington dauerte zu lange, und Ellis wollte sich in dieser Gegend möglichst selten ein Auto mieten, denn das konnten seine Feinde eines Tages herausfinden: durch die Unterlagen in den Verleihfirmen oder über die Kreditkartengesellschaften, und das würde bedeuten, dass sie auch von Petals Existenz erfuhren. Eine Alternative hätte es gegeben: Jedes Mal unter einem anderen Namen ein Auto zu mieten. Doch dafür brauchte man die entsprechenden Papiere, was ziemlich teuer war, und für einen › Schreibtischmann ‹ wie Ellis würde die CIA keine wechselnden Identitäten stellen. Und so benutzte er Gills Honda oder mietete sich am Ort ein Taxi.
Petal kam zurück. Ihre langen, blonden Haare wippten sacht um ihre Schultern. Ellis stand auf. Gill sagte: »Die Schlüssel sind im Wagen.«
Ellis sagte zu Petal: »Steig schon ein. Ich komme gleich nach.« Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, sagte er zu Gill: »Ich möchte sie für ein Wochenende nach Washington einladen.«
Gill erwiderte freundlich, jedoch entschieden: »Von mir aus gern, wenn sie will, aber ich werde sie nicht dazu zwingen.«
Ellis nickte. »Das ist fair. Bis später.«
Er fuhr mit Petal zu einem chinesischen Restaurant in Little Neck. Sie liebte die chinesische Küche. Im Auto, außerhalb des Hauses, wirkte sie sofort gelöster. Sie bedankte sich bei Ellis dafür, dass er ihr zum Geburtstag ein Gedicht geschickt hatte.
»Keiner, den ich kenne, hat zum Geburtstag jemals ein Gedicht bekommen«, sagte sie.
Er wusste nicht, ob das gut war oder
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