Die Löwin von Aquitanien
dankbar für jemanden, der mir etwas mehr von Berkshire zeigen würde. Wißt Ihr, ich habe soviel überflüssigen Schmuck, daß ich mich frage, was ich damit anfangen soll.« Sie lächelte ihn an. »Und mein Sohn Richard braucht, wie ich höre, sehr dringend tapfere Soldaten im Limouisin, wo ihn der König hingeschickt hat… er wäre sicher sehr großzügig.«
Der arme Wächter stand ärgste Gewissensqualen durch. Hier bot sich ihm die Aussicht, einmal aus dem kargen Soldatenleben auszubrechen und reicher zu werden als jeder von seinen Ahnen. »Was wünscht Ihr?« brach es aus ihm hervor.
Die Königin erhob sich und legte den Armreif beiläufig neben das Mittagsmahl. »Wir haben jetzt nicht mehr genügend Zeit«, sagte sie leise, »aber wenn Ihr in vier Tagen das nächste Mal kommt, werdet Ihr doch in Begleitung des jungen Mannes mit den roten Haaren sein, oder?«
Es kamen immer zwei Wächter, von denen einer mit der normalen Wache vor der Tür ihres Gemachs stehenblieb.
»Ja«, antwortete er verblüfft, »aber woher…«
»Das ist jetzt unwichtig«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Was zählt, ist folgendes: Ihr ruft Euren Kameraden unter irgendeinem Vorwand herein - sagt meinetwegen, ich würde behaupten, Ihr hättet etwas von meinen Speisen genommen -, überwältigt ihn dann, ich tausche die Kleider mit ihm, und Ihr bringt mich so schnell wie möglich von hier fort. Das hier«, Alienor wies auf den Goldreif, »ist eine Kleinigkeit gegen das, was Euch erwartet, wenn wir Erfolg haben.«
Sie hatte nicht gewußt, daß die Stunden so langsam verrinnen konnten, so zäh, als sei jede Minute eine ganze Welt, die es zu durch-leben galt. Bis der rothaarige Mann niedergeschlagen zu ihren Füßen lag, starb sie tausend Tode. Dennoch zögerte sie keine Sekunde, sondern begann sofort, ihr Gewand aufzuschnüren, und kümmerte sich nicht um die Blicke des Wärters. Mit fieberhafter Schnelligkeit schlüpfte sie in das Wams, das er ihr hinhielt. Die wenigen Dinge, die sie mitnehmen wollte, ließen sich leicht darin verstauen.
»Gut«, sagte sie schließlich mit bebender Stimme, »gehen wir.«
Die Wache ließ sie kommentarlos vorbei - Gott sei gedankt für die Kapuze ihres Umhangs. Jeder Schritt durch den Gang hallte in Alienors Ohren mit der Wucht eines Donnerschlags wider. Doch sie waren noch nicht außer Sichtweite ihres Gemachs, als ihr Renoulf de Glanville mit ein paar Soldaten entgegentrat.
»Es tut mir leid, Euer Gnaden«, sagte er höhnisch, »aber ich muß Euch zur Umkehr bitten.«
Der Wächter an ihrer Seite versuchte die Flucht nach vorne, wurde aber mit Leichtigkeit von seinen Kameraden wieder eingefangen.
Alienor selbst rührte sich nicht. Sie stand stumm da, fast leblos.
»Ihr müßt wissen«, bemerkte Glanville übertrieben höflich, »daß unser Herr, der König, jedem Soldaten, der ihm einen erfolgreichen Bestechungsversuch Eurerseits melden kann, die doppelte Summe von dem angeboten hat, was Ihr versprecht. Dieser Narr dort wußte noch nichts davon und suchte Unterstützung für Eure Flucht, aber ich nehme an, jetzt wird es allgemein bekannt.«
Alienor faßte sich.
»Armer Henry«, sagte sie sachte, »was für eine Verschwendung von Steuergeldern!« Sie streckte die Hand aus. »Ich nehme an«, fuhr sie gewollt hochmütig fort, »Ihr selbst habt es nicht nötig, Eure Lage derart aufzubessern? Dann seid so gut und gebt mir den Schmuck wieder, den Ihr Eurem Wärter habt abnehmen lassen.«
Schlagartig war jedes Überlegenheitsgefühl aus der Miene des Edlen de Glanville verschwunden. »Bei Gott, Ihr könnt froh sein, daß ich Euch überhaupt etwas lasse«, stieß er hervor. »Wechselt lieber die Tonart, Euer Gnaden, ich rate Euch im Guten.«
Alienor hob die Augenbrauen. »Und weswegen sollte ich wohl?
Werde ich ohne Essen ins Bett geschickt, wenn ich nicht gehorche, oder sperrt man mich in den Keller?«
Renoulf de Glanville lag eine hitzige Entgegnung auf der Zunge, doch dann sah er ein, daß sie recht hatte. Sie war die Königin, gefangen oder nicht, und es gab keine Strafmaßnahmen, mit denen er ihr glaubwürdig drohen konnte. Glanville ließ sie zurückbringen und verfluchte stillschweigend alle arroganten Weiber.
Im Salisbury Tower war sie nicht ausschließlich auf wenige Räume beschränkt, da das Gebäude selbst viel sicherer war als ein gewöhnliches Schloß, doch Alienor entdeckte bald, daß es keinen Unterschied machte, wie weiträumig ein Gefängnis war. Es blieb immer noch ein Gefängnis.
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