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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Sie wußte nicht, was schlimmer war, die völlige Einsamkeit oder die Tatsache, daß man sie von jeder Tätigkeit abgeschnitten hatte. Sie mußte etwas finden, um ihren Geist zu beschäftigen, sonst stumpfte sie mit der Zeit völlig ab. Alienor entschloß sich, aus dem Gedächtnis alle Verse, Epen und Erzählungen niederzuschreiben, an die sie sich erinnern konnte, selbst wenn sie in den Büchern enthalten waren, die man ihr zur Verfügung stellte.
    Eines der ersten Dinge, die ihr einfielen, war die Strophe von Sappho, die sie als Mädchen so beeindruckt hatte. Sapphos Verse trafen nun mit einer schrecklichen Ironie zu und erhielten einen völlig neuen Sinn für Alienor: »Hinabgetaucht ist der Mond und/ mit ihm die Plejaden; Mitte/ der Nächte, vergeht die Stunde;/ doch ich liege allein…«
    Die Briefe, die sie erhielt, wurden von ihrem Bewacher gelesen, und manchmal fehlten ganze Abschnitte. Eines Tages kam eine Abschrift von der Predigt eines poitivinischen Mönches an, die Henry ihr hatte schicken lassen, mit der Anmerkung, sie werde sie amüsant finden.
    »Sag mir, Adler…. sag mir: Wo warst Du, als Deine Jungen aus dem Nest flogen und es wagten, ihre Krallen gegen den König des Nordwinds zu richten? Du warst es - wir haben es vernommen -, der sie angetrieben hat, sich gegen ihren Vater zu erheben. Deshalb bist Du aus Deiner Heimat fortgeschleppt und in fremdes Land gebracht worden…

    Du hattest Reichtümer im Überfluß, und Deine jungen Gefährtinnen sangen ihre sanften Lieder zu Tamburin- und Zitherklängen. Du entzücktest Dich am Gesang der Flöte…
    Kehre zurück, o Gefangene, kehre zurück in Deine Länder, wenn Du es kannst… Wo sind sie alle von Deiner Familie, wo sind Deine jungen Hofdamen, wo sind Deine Ratgeber!…Der König des Nordwinds hält Dich umlagert.
    Rufe mit den Propheten, werde nicht müde, erhebe die Stimme wie eine Trompete, damit Deine Kinder sie hören. Der Tag wird kommen, wo Du durch Deine Söhne befreit wirst und in Deine Heimat zurückkehrst.«
    Sie war allein, so einsam, wie sie noch nie in ihrem Leben gewesen war, und die Einsamkeit förderte die Erinnerung an das, was sie verloren hatte. Sie dachte an ihre goldene Jugendzeit voller Lachen und Musik, an die Menschen, die sie in ihrem Leben verloren hatte; an Raymond, die drei Guillaumes, ihre Mutter Aenor, nun auch Petronille und im letzten Jahr die Äbtissin Mathilda. Ihre anderen Kinder waren fort, verschwunden, als seien auch sie gestorben, selbst die kleine Joanna, die Henry nach ihrer Gefangennahme mit dem König Siziliens, Rogers Nachfolger Guillaume, vermählte.
    An einem kalten Winternachmittag, als sie nichts außer das Feuer im Kamin und das Schreien der Raben um Salisbury Tower vernahm, verlor sie erstmals die Fassung: Sie krümmte sich zusammen, umklammerte ihre Knie und weinte, weinte heftig und hoffnungslos.
    Eines der Mädchen, die man ihr zugeteilt hatte, erlöste sie. Sie trat ein, sah Alienor und stammelte verlegen: »Oh, verzeiht, Euer Gnaden, verzeiht.«
    Alienor war beinahe genauso erschrocken wie das junge Ding, das die Königin noch nie so erlebt hatte. Sie erhob sich. Was um alles in der Welt tat sie da? Wie konnte sie zulassen, daß man sie so vorfand, in Tränen aufgelöst wie eine Braut vor der Hochzeitsnacht?
    »Was gibt es?« fragte sie mit ein wenig zitternder, aber dennoch halbwegs sicherer Stimme. »Sir Ralph Fitz-Stephen läßt ausrichten, es sei Zeit für den täglichen Spaziergang, Euer Gnaden.« Das Mädchen wollte ihr einen wärmenden Pelzmantel um die Schultern legen, doch Alienor wies sie brüsk zurück.
    »Ich bin noch nicht so alt, daß ich nicht ein wenig frische Luft vertrage.«
    Die plötzliche Kälte traf sie wie ein Schock und brachte sie wieder zur Besinnung. Der steinerne Boden der Turmzinnen fühlte sich fest an unter ihren Füßen, und sie genoß jeden einzelnen Schritt, sog die kalte Luft ein, als wäre es der Atem des Lebens selbst, und sah zu dem grauen Himmel empor. Wolken ballten sich zusammen und verkündeten Schnee.
    Wie konnte sie sich so gehenlassen? Das war reines Selbstmitleid.
    Sie hatte mit Henry um die Macht gerungen und verloren; sie hatte den Einsatz gekannt. Wenn sie je wieder frei sein wollte, dann durfte sie ihm nicht die Genugtuung geben, sie gebrochen zu haben, durfte sich nicht in selbstgefälligem Bedauern wiegen, sondern mußte für die Zukunft planen. Es würde immer eine Zukunft geben.
    »Sir Ralph«, wandte sie sich an ihren Bewacher, der sie aus

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