Die Löwin von Aquitanien
vierzehn Tagen die wichtigste Burg von Angoulême eingenommen hatte und er noch überhaupt nichts, zog er wieder von dannen. Auf Richard jedenfalls könnt Ihr stolz sein, meine Königin. Man spricht mittlerweile überall von seinem Ruf als Soldat, und dabei ist er erst zwanzig Jahre alt.«
Aus einem Impuls heraus setzte Will hinzu, was er eigentlich gar nicht erwähnen wollte: »Er hat den König zum wiederholten Mal um Eure Freilassung gebeten.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Und auch Joanna hat es getan, und Mathilda, Aenor, Marie und ein halbes Dutzend andere - sie schreiben mir davon, als müßten sie sich dafür entschuldigen. Aber es hat keinen Sinn, Will. Er wird mich nie gehen lassen.«
Der Graf von Salisbury sah zu Boden, und Alienor gestattete sich ein Achselzucken. »Du kannst damit aufhören, mich zu bedauern, Will, ich lebe hier ausgezeichnet, und dein Besuch hat mir sehr viel Freude bereitet.«
Will stand auf. »Ich kann nicht sagen, daß ich nicht verurteile, was Ihr getan habt«, meinte er ernst, »aber ich habe noch nie einen Gefangenen gesehen, der sein Los so trägt wie Ihr, Königin Alienor.«
Alienor war weit davon entfernt, sich mit ihrem Los abzufinden.
Kurz nach Wills Besuch unternahm sie einen neuen Fluchtversuch.
Eines Abends bat sie ihre Dienerin, alle Kerzen auf den Tisch vor dem großen Silberspiegel zu stellen. In dem erbarmungslos hellen Licht der Flammen prüfte sie ihr Gesicht und ihren Körper. Sie war vierundfünfzig Jahre alt, doch sie wirkte mindestens zehn Jahre jünger. Nirgendwo befanden sich die geringsten Spuren des Alterns, das Ergebnis einer eisernen Disziplin, mit der sie jeden Mundvoll Speisen und Getränke bemaß und sich jeden Morgen ein eiskaltes Bad auferlegte.
Nicht schlecht, dachte sie. Aber wie lange noch? Man muß seine Waffen einsetzen, solange sie noch wirksam sind. Und wenn ich hier herauskommen will, kann ich es mir nicht leisten, zimperlich zu sein.
Sie nutzte ihre Bewegungsfreiheit, die es ihr gestattete, ohne Begleitung durch mehrere Räume zu wandern, und fand schließlich den Mann, den sie gesucht hatte: den Hauptmann, der für die Bewachung der Zugbrücke zuständig war und gerade von seinem abendlichen Bericht an Ralph Fitz-Stephen kam.
Alienor trug ein dunkelblaues, fast schwarzes Gewand, und der Hauptmann erschrak, als er sie so vollkommen unvermutet aus den Schatten treten sah. »Euer Gnaden«, begrüßte er sie lahm.
»Oh, wie gut, daß ich Euch treffe, Hauptmann. Ihr könnt mir sicher sagen, ob ich mit meiner Bitte bei Sir Ralph Erfolg haben werde. Was meint Ihr, ist es möglich, meinen Spaziergang von nun an abends zu machen?«
Der Mann wurde sofort mißtrauisch. »Weswegen…«
Alienor machte eine ausholende Geste, die dem überraschten Hauptmann zeigte, daß die Königin, die er bisher nur in Staatsroben oder Reisekleidern kannte, in diesem Hausgewand eine sehr weibliche Figur besaß. Er blickte hastig weg, während sie erklärte: »Es ist Sommer, und meine Dienerinnen erzählen mir, daß wir Vollmond haben. Ich würde so gerne die Sterne von den Zinnen aus sehen.«
Der Hauptmann zerbrach sich vergeblich den Kopf, inwiefern diese Bitte eine Vorbereitung für einen Fluchtversuch enthalten könnte.
Man hatte ihn gewarnt, daß die Königin gefährlich war, doch alles, was er sah, war eine schöne Frau, die mit ihrer bezwingenden Stimme eine rührende Narretei äußerte. »Nun ja«, sagte er unbehaglich,
»ich glaube eigentlich nicht, daß Sir Ralph etwas dagegen einzuwenden hätte.«
»Oh, ich hoffe, Ihr habt recht. Ich werde gleich zu ihm gehen.
Danke für Euren Zuspruch, Hauptmann.« Sie schwebte graziös an ihm vorüber, glitt jedoch an der Treppe, die zu Fitz-Stephens Gemach führte, aus, und wenn er sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie gestürzt. Alienor blieb eine Sekunde länger in den Armen des Hauptmanns, als es notwendig gewesen wäre, machte sich dann los und sagte mit einem einschmeichelnden Lächeln: »Nein, wie ungeschickt von mir! Ihr könnt versichert sein, daß ich unserem strengen Herrn da oben erzählen werde, wie schnell Ihr zur Stelle seid, wenn man Euch braucht. Nochmals, ich danke Euch aus ganzem Herzen.«
Sie war fort, und der Hauptmann blieb ein wenig verwirrt zurück, spürte noch den zarten Duft, der nun an seinen Kleidungsstücken zu haften schien und ihn in den nächsten Tagen verfolgte. Er wußte selbst nicht, warum, aber er richtete es eine Woche später so ein, daß er derjenige war, der die
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