Die Löwin von Aquitanien
Königin auf ihrem nächtlichen Spaziergang begleitete.
Diesmal schwieg sie zunächst längere Zeit. Die sommerliche Sonne hatte die Luft gewärmt, selbst hier oben, und es war in der Tat sehr angenehm, so zu gehen. Die Geräusche der Nacht drangen nicht herauf, und trotz der ganzen Garnison hätten sie ebensogut allein sein können.
Alienor lehnte sich gegen einen Erker und legte die Hand auf den rauhen Stein. »Seltsam«, sagte sie versonnen, »wie er noch glüht.«
Sie hob den Kopf. »Und die Sterne sind so deutlich heute nacht…
wie merkwürdig, wenn man bedenkt, daß es dieselben Sterne sind, die ich auf dem Kreuzzug damals im Orient beobachtet habe.
Manchmal glaube ich, daß nur die Sterne ewig bleiben werden.«
Jäh wechselte sie das Thema. »Aber ist es nicht eine bezaubernde Nacht, Hauptmann?« Der Hauptmann hatte in den letzten Minuten weniger die Sterne betrachtet als Alienors Hand, die scheinbar zufällig auf der Zinne entlangglitt, hinauf und hinunter. Er stimmte zu, ohne zu wissen, was sie gefragt hatte, und die Königin zog eine Grimasse. Es würde noch leichter werden, als sie gedacht hatte, aber um Himmels willen, der Mann mußte doch ein wenig Verstand haben, sonst wäre er nicht Hauptmann geworden - und könnte ihr nicht bei einer Flucht behilflich sein. Sie wünschte sich plötzlich ein etwas klügeres Gegenüber, jemand, dessen Einnahme eine echte Herausforderung gewesen wäre. Man konnte nicht alles haben.
Sie seufzte melancholisch. »Wart Ihr schon einmal in Aquitanien, Hauptmann, in meiner Heimat?«
»Zweimal, meine Königin, aber nur sehr kurz. Ich bin Normanne.«
Alienor verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf, was dem Hauptmann erneut die Gelegenheit gab, ihre Gestalt zu bewundern.
»Ich habe nicht daran gezweifelt«, versetzte sie ein wenig spöttisch, »Ihr klingt nicht gerade wie ein Angelsachse. Aber erzählt mir doch von Euren Besuchen in Aquitanien. Ich habe so lange nichts mehr von meiner Heimat gehört.«
Der Hauptmann war in seinem Leben noch keiner so aufmerksamen Zuhörerin begegnet. Normalerweise empfand man seine Redeweise als ungelenk und langweilig, doch die aufmerksam auf ihn gerichteten Augen der Königin gaben ihm zum ersten Mal das Gefühl, ein fesselnder und guter Erzähler zu sein, und die Worte strömten nur so aus ihm heraus. Er hätte endlos weitersprechen können, wenn nicht eine Eule direkt über sie hinweggeflogen wäre. Die Königin erschrak und schmiegte sich, ohne nachzudenken, an ihn, und er spürte ihren zitternden Körper.
»Oh, sagt schnell ein Gebet! Ich habe mich immer so vor diesen schlechten Zeichen gefürchtet!«
Der Hauptmann fühlte sich stark; er hatte noch nie so ein hilfloses und entzückend weibliches Geschöpf kennengelernt. »Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen, Euer Gnaden. Ich werde eine Kerze für Euch in der Kapelle aufstellen. Kommt, gehen wir hinunter«, schloß er bedauernd, »die Zeit ist um.«
»Leider habt Ihr recht. Ich habe mich so gut mit Euch unterhalten; glaubt Ihr, Ihr könntet mich wieder einmal begleiten?«
»Gewiß… gewiß, gerne…« stotterte er.
Es stand also alles hervorragend, und Alienor plante, nun einen Schritt weiterzugehen, als sie eine unangenehme Überraschung erlebte. Nicht nur, daß der eher milde Ralph Fitz-Stephen wieder von Renoulf de Glanville abgelöst wurde, nein, bei ihrem nächsten Spaziergang nach Glanvilles Ankunft stellte sie fest, daß man fast ausnahmslos alle Soldaten innerhalb des Turms durch irgendwelche Greise ausgewechselt hatte. Die äußeren Wachen waren, soweit erkennbar, eher junge Männer, aber von denjenigen, die sie zu Gesicht bekam, war keiner unter fünfundfünfzig - und der Hauptmann war spurlos verschwunden. Statt seiner begleitete sie ein hämisch grinsender Renoulf de Glanville, der ihr einen Brief ihres Gemahls übergab.
Henry schrieb, er hielte es für besser, sie in ihrem Alter nicht mehr mit jugendlichen Rüpeln zu belästigen. Alienor war zwischen Zorn, Enttäuschung und Belustigung hin- und hergerissen.
»Wie ich sehe«, antwortete sie ihrem Gemahl, »verstehen wir uns noch ausgezeichnet. Ich höre, Du klagst neuerdings über Rücken-schmerzen…« Er hatte ihre Pläne wieder einmal durchkreuzt. Woher er es gewußt hatte, war gleichgültig, vielleicht hatte er es auch nur zu einem ungünstigen Zeitpunkt geahnt. Aber eines Tages, Henry, schwor sie sich, eines Tages werde ich dich überlisten. Es ist mir einmal gelungen, und es wird mir wieder
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