Die Löwin von Aquitanien
pelzbesetzten Kleider vermummt, die eine Überfahrt mitten im Winter nötig machte, doch sie hätte ebensogut im vollen Staatsgewand vor ihm stehen können, so autoritär klang ihre Stimme. »Also, mein Sohn«, sagte sie kühl, »um uns gleich Vorwürfe und ähnliches zu ersparen, fordere ich dich auf, sofort auf das Festland zurückzukehren - ohne Flotte, Soldaten oder ähnlichem, versteht sich.«
»Und warum«, fragte John gedehnt, »sollte ich das wohl tun, Euer Gnaden?«
Alienor lächelte. »Weil ich sonst deine sämtlichen Güter in der Normandie an Richards Barone verteilen werde. Du kannst dich entscheiden - entweder England, wo du keine Burgen hast, oder deine Grafschaft in der Normandie.«
John starrte sie an. Sein Gesicht war undurchdringlich, nur die Augen verrieten etwas von dem glühenden Zorn, der in ihm tobte.
»Es wäre besser, du hörtest auf mich«, sagte seine Mutter gelassen. »Philippe ist, wie du erkannt haben solltest, als Verbündeter nicht unbedingt zuverlässig. Und ich bezweifle sehr, daß er seine Edlen dazu bekommt, ihn bei einem Feldzug gegen einen abwesenden Kreuzfahrer zu unterstützen, der derzeit im Blickpunkt aller Gläubigen steht. Hast du schon einmal an Richards Rückkehr gedacht und was er dann mit seinen Feinden machen wird?«
John würgte mühsam eine Antwort hinunter. Es stimmte: Richard mochte ein Narr sein, aber doch kein so großer Narr, daß er ihm den Gefallen tat, bis in alle Ewigkeit im Orient zu bleiben. »Gut«, entgegnete er langsam. »Ich werde mich auf meine Grafschaft in der Normandie zurückziehen.«
Alienor nickte. Sie war entschlossen, das Reich nun von England aus zu regieren. Der Loyalität der Vasallen auf dem Festland konnte sie größtenteils sicher sein; überdies mochte die Tatsache, daß es als ein Sakrileg galt, sich an Hab und Gut eines Kreuzfahrers zu vergreifen, möglicherweise doch ihren Wert haben. Alienor machte sich daran, auch die englischen Grafschaften zu bereisen und die dortigen Burgen weiter befestigen zu lassen. Sie besuchte die mächtigsten Barone des Landes, Windsor, Oxford, London und Winchester, und ließ sie noch einmal den Treueid leisten. Ihre Anwesenheit trug viel dazu bei, die Gerüchte zu zerstreuen, die nun über den König umgingen, beispielsweise, daß er vorhabe, im Heiligen Land zu bleiben und selbst die Krone von Jerusalem zu nehmen.
Philippe mußte erfahren, daß seine Adligen weniger als entzückt von der Aussicht waren, nach einer Invasion der Normandie, wie Philippe sie vorschlug, einem rachsüchtigen Richard von England gegenüberzustehen und möglicherweise vom Heiligen Stuhl exkommuniziert zu werden… Der einzige von Richards Vasallen, welcher sich zum Aufstand treiben ließ, war - wie nicht anders zu erwarten -
der Graf von Toulouse. Indessen hatten sowohl Philippe wie auch der Graf vergessen, daß Richards Heirat ihm Verbündete in unmittelbarer Nähe von Toulouse verschafft hatte. Sancho von Navarra schlug den Aufstand mit einer beleidigenden Leichtigkeit nieder. Das Reich der Plantagenets hatte sich als sicher erwiesen.
Dennoch war Alienor weiterhin auf der Hut. Sie wußte nur allzu gut, daß weder Philippe noch John je nachgeben würden. John… Sie war es leid, ihre Kinder gegeneinander kämpfen zu sehen. »Was haben wir nur getan, Henry?« murmelte sie in der Einsamkeit ihrer Kammer.
Sie vermißte ihn in diesen Tagen mit einer bestürzenden Intensität. Ihr ganzes Leben lang hatte sie Vergnügen an dem Kampf um die Macht gefunden, doch nun war sie es müde, so müde, und sie wünschte sich nur noch ein friedliches, geeintes Land - ohne streit-süchtige, machthungrige Söhne, die übereinander herfielen. Doch ihre Erfahrung sagte ihr, daß es unmöglich war. Es schien, daß in diesem Jahr noch ihr nächster großer Kampf beginnen sollte.
Philippe glaubte also, er könnte in Richards Abwesenheit sein gewohntes Spiel treiben, die Plantagenets gegeneinander aufwiegeln und sich dabei soviel Land wie nur möglich aneignen? Er würde sich wundern!
Während die Menschen von Richards Eroberung Askalons und seinem Vordringen nach Jerusalem sprachen, versuchte Alienor sich mit dem Ausbau der Handelswege abzulenken.
»Die Verbindung zum Orient«, sagte sie zu Walter de Coutances,
»muß sich doch noch für anderes als den Austausch von Botschaften ausnutzen lassen.«
Der Erzbischof von Rouen war ein guter Mann, wenn auch nicht unbedingt der gewitzteste. »Wie meint Ihr das«, fragte er
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