Die Löwin von Aquitanien
besänftigend einzugreifen, sah aber, daß es zu spät war; Louis hatte in Alienor den legendären Zorn ihrer Familie 110
entfesselt, der sich genausowenig aufhalten ließ wie das Meer bei einer Sturmflut. Die anderen Männer schauten dem Königspaar sprachlos zu.
Alienors Stimme, die eben noch so laut wie Louis’ gewesen war, klang mit einem Mal trügerisch sanft. »Und wie willst du mich dazu bringen, Louis?« fragte sie.
Louis wich ein paar Schritte zurück. Gerade in ihrer plötzlichen Ruhe wirkte sie furchteinflößender, als wenn sie die Karte genommen und ihm ins Gesicht geschleudert hätte. Ihre Augen loderten in einem kalten Zorn, den er noch nie erlebt hatte; ihr unerwartetes Lächeln war… bösartig, er fand kein anderes Wort dafür. Es war, als stünde er einer Fremden gegenüber.
»Ich werde dich zwingen«, sagte er und nahm sich zusammen,
»ich habe das Recht dazu, ich bin dein Gemahl.«
»Dann, mein lieber Gemahl«, sagte Alienor gedehnt, »tätest du gut daran, dir deine ehelichen Rechte von deiner geliebten Kirche erst bestätigen zu lassen. Nach kanonischem Recht sind wir nämlich zu nahe miteinander verwandt.«
Die plötzliche Stille hätte inmitten eines Sandsturms nicht überraschender ausfallen können. Raymond reagierte als erster. »Das reicht jetzt«, sagte er scharf. »Dies hier sollte eine Besprechung zur Kriegsplanung werden, kein Ehestreit. Alienor«, er faßte sie bei der Hand und führte sie zur Tür, so hart zugreifend, daß er blaue Male auf ihrem Handgelenk hinterließ, »wir sprechen später darüber.«
Nachdem er sie hinausgebracht hatte, kehrte er zurück zu Louis, der immer noch mit halbgeöffnetem Mund bewegungslos im Raum stand, stellte dessen Stuhl wieder auf und sagte: »Ich glaube, es wäre besser, wenn Ihr Euch setzt, mein König.«
Louis sank, ohne einen Laut von sich zu geben, auf den angebotenen Stuhl. Er blickte auf den Tisch mit der Karte, dann wieder auf die geschlossene Tür, endlich auf Raymond. Als er zu sprechen begann, konnte man seine Stimme kaum wiedererkennen. »Genau das habt Ihr gewollt, nicht wahr? Nun, Ihr habt es bekommen.«
»Was, zum Teufel«, sagte Raymond, »glaubst du, daß du da drinnen getan hast?«
Alienor war gerade dabei, ihr Haar auszukämmen, und fuhr auf-reizend langsam damit fort. »Ich habe versucht, Louis vor der größten Dummheit seines Lebens, der Christenheit Edessa und dir dein Fürstentum zu bewahren«, erwiderte sie ein wenig spöttisch. Raymond kämpfte zwischen Zorn und Amüsement.
»Nach Louis’ Gesichtsausdruck zu schließen«, bemerkte er, »hast du den armen Mann eher dazu gebracht, mir den Krieg erklären zu wollen.«
Alienor legte ihren Kamm weg. »Louis ist kein Mann, sondern ein Mönch.«
»Alienor«, sagte Raymond ernst, »das ist keine Angelegenheit zum Scherzen. Du hast bei deinem Ausbruch nicht zufällig die Idee im Hinterkopf gehabt, den Papst zu bitten, daß er deine Ehe annulliert?«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Mit der Begründung: ›Bitte, Euer Heiligkeit, scheidet mich von meinem Vetter soundsovielten Grades, damit ich meinen Halbonkel heiraten kann‹? Nein. Man hat mir schon vieles vorgeworfen, aber noch nie, naiv zu sein, Raymond, das ist neu.«
Sie hob die Arme und dehnte sich wie eine Katze, so daß sich ihre Brüste unter dem Nachtgewand, das sie inzwischen trug, deutlich abzeichneten. »Und wenn ich neben meiner noblen Rettungsabsicht auch noch daran gedacht habe, daß ich so etwas länger in Antiochien sein kann, ist das so schlimm?«
Raymond beugte sich über sie und küßte sie.» Du verflixtes kleines Balg. Alienor, wann lernst du endlich, daß die Welt nicht für dich stehenbleibt?«
»Uns bleibt so wenig Zeit, Raymond«, murmelte sie mit geschlossenen Augen, »so wenig Zeit.«
»Also«, sagte Thierry Galeran, Ritter des Templerordens, eisig,
»wie ich es sehe, ist die Lage klar.« Er blickte zu Louis hinüber, der auf das nächtliche Antiochia starrte. Louis und die meisten Männer seines nordfranzösischen Gefolges befanden sich auf der Stadtmauer, die alle dreißig Meter von einem Turm unterbrochen wurde und von dem Tempelritter, der seit einiger Zeit zu den engsten Beratern des Königs zählte, als sicherer, lauscherfreier Platz ausgewählt worden war.
Galeran wandte sich an den Grafen de Maurienne und sprach mit gesenkter Stimme, damit Louis ihn nicht hören konnte. »Sie ist wenig mehr als eine Hure, aber das Gefährliche daran ist, daß sie ihre Drohung wahrmachen
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