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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte er nicht mehr das geringste Anzeichen von Schwäche gezeigt. Daß der Graf von Anjou, der sein Vasall sein sollte, seinen Seneschall wegen einer persönlichen Feindschaft angegriffen und schließlich überwältigt hatte, mochte ihn tatsächlich zu einem Bündnis mit Stephen treiben.
    Stephen… Als Henry noch ein Kind gewesen war, war es Maude, die in England aufgrund ihrer ersten Ehe mit dem deutschen Kaiser Heinrich V. nur als ›die Kaiserin‹ bezeichnet wurde, tatsächlich gelungen, Stephen für eine Weile gefangenzusetzen und vom Parlament als ›Herrin der Engländer‹ anerkannt zu werden. Doch ein unverzeihlicher Fehler ihres Verwandten und obersten Heerführers, Robert von Gloucester, hatte Stephen wieder entkommen lassen, und der Krieg ging weiter.
    Auch wenn Henry nur sehr ungern darüber nachdachte, wußte er, daß einer der Gründe dafür, warum sie noch immer nicht gesiegt hatten, darin lag, daß Maude und Geoffrey Plantagenet, mit dem sie ihr Vater nach dem Tod des Kaisers verheiratet hatte, sich verabscheuten. Der Graf von Anjou war fünfzehn und Maude siebenundzwanzig gewesen. Seit damals hatten sie sich mehr als einmal offen bekriegt, und derzeit hielt nur die Feindschaft gegen Stephen die beiden zusammen.
    Henry war in einem sowohl familiären als auch landesweiten Krieg groß geworden, und als er von seinem Vater, der durch die Heirat mit Maude Regent der Normandie geworden war, vor zwei Jahren offiziell als Herzog eingesetzt worden war, hatte er sich geschworen, in seinem Reich nie eine solche Selbstzerfleischung zuzu-lassen.
    Er überlegte gerade, wie er noch einmal versuchen könnte, seinen Vater zu überzeugen, als ihm ein Reiter auffiel, der in einiger Entfernung im lockeren Galopp direkt auf ihr Lager zuzuhalten schien.
    Bewundernd registrierte er das völlige Einssein von Reiter und Tier und applaudierte innerlich der vornübergebeugten, waffenlosen Gestalt. Doch gleichzeitig erfaßte ihn heftiger Argwohn. Konnte das ein Spion des französischen Königs sein?
    Er gab seinem Schimmel die Sporen und preschte in halsbrecheri-scher Geschwindigkeit auf den Unbekannten zu, um ihm den Weg abzuschneiden. Der Reiter bemerkte ihn, änderte jäh seine Richtung und versuchte zu fliehen. »So nicht«, stieß Henry mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Schimmel, auf dem er saß, war eigens für die Jagd gezüchtet worden und nicht nur kräftiger, sondern auch aggressiver und schneller als jedes andere Tier. Doch auch der mut-maßliche Spion war wohl nicht übel beritten, denn der Abstand zwischen ihnen verringerte sich längst nicht so schnell, wie Henry es erwartet hatte.
    Es wurde ein atemloses Rennen, bei dem beide ihr Bestes gaben, bis Henry seine Beute endlich eingeholt und gestellt hatte. Als er sich dem Reiter gegenübersah, erstarrte er. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Allmächtiger - eine Frau!«
    »Es freut mich«, sagte sie eisig, »daß dieses arme Tier«, sie wies auf seinen Hengst, »wenigstens nicht von einem Blinden in die völlige Erschöpfung getrieben wurde.«
    Als er wieder zu Atem kam, betrachtete er sie unverhohlen von Kopf bis Fuß. »Reitet Ihr öfter in Männerkleidung, Dame?« Denn mit ihrem Pferd und der Tunika, die sie trug, konnte sie unmöglich eine Bürgerin oder ein Mädchen aus dem Volk sein.
    »Nur, wenn ich von Wegelagerern angehalten werde«, erwiderte sie kurz, ohne im geringsten eingeschüchtert zu sein.
    Henry hatte Erfahrungen mit Frauen - zwei uneheliche Söhne und Dutzende von Schankmädchen, Edeldamen und gelegentlich auch Dirnen konnten es bestätigen. Aber ihm war noch nie eine Frau begegnet, die seinen abwägenden Blick mit derselben Freimütigkeit erwiderte. Unverhohlen glitt sein Blick über ihre weiblichen Linien und blieb auf ihrem erhitzten Gesicht haften. Die Sirenen mußte so ausgesehen haben, sagte sich Henry und lachte noch einmal. Bei Gott, das versprach unterhaltsam zu werden.
    Seine grünen Augen glänzten spöttisch, als er sich in seinem Sattel zurücklehnte und gedehnt fragte: »Wißt Ihr, was Wegelagerer mit einsamen Damen machen, die ihnen in die Hände fallen? «
    »In diesem Fall«, entgegnete sie ruhig, »würde ich den Wegelagerer bemitleiden.«
    Henry war fasziniert. Dies war nicht nur eine Frau, mit der man eine vergnügliche Stunde im Bett verbringen konnte, dies war ein Wesen mit Verstand und absolut ohne Furcht. Er beglückwünschte sich zu diesem Fang. »Vielleicht könntet Ihr«, setzte er an, doch

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