Die Löwin von Aquitanien
sprach, ließ Henry schnell seine Augen in der Halle umherschweifen, ordnete die Menschen ein, die er dort entdeckte. Der Graf de Vermandois, ein Mann, mit dem sie schon öfter zu tun gehabt hatten, war kein ungeschickter Heerführer, aber nicht überlegen genug, um wirklich gefährlich zu sein; er würde sich immer einem Stärkeren zu beugen haben. Mehr zu fürchten war der Mann an seiner Seite mit dem Kreuz der Tempelritter auf seiner Brust; Henry kannte ihn nicht, hatte jedoch von ihm gehört. Dies mußte Thierry Galeran sein, ein Ritter, von dem es hieß, daß er den Tod nicht zu fürchten, sondern vielmehr zu suchen schien, so rücksichtslos kämpfte er.
Der hagere Asket in der Mitte der Versammelten mit dem nachdenklichen Gesichtsausdruck, der unter den Rittern höchstens durch die Schlichtheit seiner Kleidung auffiel, war der König - ihr Gemahl.
Louis, dessen Frömmigkeit so bekannt war, daß sie den zweideutigen Scherz begründet hatte, es sei ein weiterer Gnadenbeweis des Herrn, daß er überhaupt zu zwei Töchtern gekommen war.
Sie stand neben ihm, und jetzt, da Henry sie nicht nur in einem Kleid, sondern im vollen Staatsornat sah, belustigte ihn der Kontrast zu der zerzausten Reiterin vom gestrigen Abend. Ihr Haar war mit einer reichbestickten Haube bedeckt, und auch das silberweiße Gewand zierten neben Goldfäden noch zahlreiche Edelsteine. Doch das Gesicht war unverkennbar, die hohen Wangenknochen, der großzügige Mund, und als er ihre Augen auf sich ruhen spürte, wußte er, daß auch sie ihn sofort wiedererkannt hatte. Er lächelte ihr zu, und sie hob den Kopf.
Doch die Antwort seines Vaters riß ihn aus seinen Beobachtungen. »Ich weigere mich, meinen Gefangenen freizulassen. Wenn es ein Fehler ist, einen in einer ehrlichen Fehde besiegten Gefangenen festzuhalten, will ich dafür keine Absolution!« verkündete Geoffrey.
Empörtes Getuschel war die Folge. Bernhard war erzürnt über die gotteslästerliche Rede, und Henry fluchte innerlich. Die Exkommunikation war das geringste ihrer Probleme, verglichen mit einem drohenden Bündnis zwischen Stephen und Louis. Aber das hieß nicht, daß man die Kirche auch noch provozieren mußte; im Augenblick jedenfalls nicht. Später, wenn die Machtverhältnisse anders verteilt waren, würde man weitersehen.
Doch sein Vater wandte sich bereits um, ergriff seinen Arm, und Henry blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Bernhard rief ihnen hinterher: »Hütet Euch, Graf von Anjou! Ihr werdet mit dem gleichen Maß gemessen werden, mit dem Ihr selbst meßt!«
Der Lärm, der nun ausbrach, war nicht mehr aufzuhalten. Giraud Berlai, von zwei angevinischen Soldaten gepackt, ließ sich zu Boden stürzen und flehte: »Segnet mich, Vater Bernhard, denn nun weiß ich, daß ich sterben werde!«
Bernhard holte tief Luft. »Fürchte nichts«, erwiderte er und übertönte die Höflinge, »sei sicher, daß Gott dir und den Deinen helfen wird!«
»Und hoffentlich auch der König von Frankreich«, kommentierte Raoul de Vermandois, an Thierry Galeran gewandt. »Habt Ihr schon je solche Unverschämtheit erlebt?«
»Ja, von Euch, als Ihr mit Eurer Ehe das Königreich an den Rand des Abgrunds brachtet«, versetzte der Templer schneidend, und Raoul errötete. »Dennoch, hier habt Ihr recht: So etwas muß bestraft werden. Das war so gut wie eine offene Kriegserklärung.«
Alienor saß auf einem Schemel neben dem Lager, in dem der ›Vater des Vaterlandes‹, Suger, seit Tagen mit dem Tod rang, und hörte, wie die Tür hinter ihrem Gemahl geschlossen wurde. Louis hatte eben, Tränen in den Augen, den Besuch am Krankenbett seines Ziehvaters beendet. Sie bedeutete dem Mönch, der als Pfleger fun-gierte, sie kurz mit dem Abt allein zu lassen.
»Nun, Vater«, sagte sie halblaut, als sie schließlich sicher war, daß niemand sonst sie mehr hören konnte, »hier sind wir also. Ihr sterbt, und ich lebe weiter. Wißt Ihr, ich habe nicht die geringste Angst vor dem Tod. Das könnte daran liegen, daß ich ihn so früh kennengelernt habe. Als meine Mutter starb, ließ man uns, mich und meine Geschwister, nicht dabei sein, aber es dauerte nicht mehr lange, und auch mein Bruder wurde krank… tödlich krank. Ihr habt vielleicht schon von meinem Bruder gehört, Vater, von Aigret?«
Sie beugte sich über ihn, lauschte auf den rasselnden Atem, doch die Augen unter den halbgeschlossenen Lidern sagten ihr, daß er sie noch genau verstehen konnte. »Alter Mann«, fuhr sie kalt fort,
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