Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
Vom Netzwerk:
dem Sattel und sah sich
um. Auf dem ganzen Hof rund um ein flackerndes Feuer standen niedrige Zelte. Männer
hockten in Grüppchen zusammen und redeten leise miteinander, manche rauchten
eine Wasserpfeife. Ein Diener verteilte Schüsseln mit Essen und Tee. Frauen
kümmerten sich um die kleineren Kinder. Sibylla hielt nach Emily Ausschau,
konnte sie jedoch nirgends entdecken. Dann kamen die Leute näher, um die
Neuankömmlinge zu begrüßen. Manche hinkten, einige trugen den Arm in einer
Schlinge, andere stützten sich auf einen krummen Ast, der ihnen als Krücke
diente. Ein alter Mann, der einen fleckigen Verband um den Kopf gewickelt
hatte, sagte erschüttert zu Sibylla: „Wie konnte unser eigen Fleisch und Blut
sich so gegen uns vergehen!“
    „Mummy!“ Emily rannte aus dem Haus und
stürzte sich in die Arme ihrer Mutter. „Endlich, Mummy! Ich habe so auf dich
gewartet!“
    Sibylla liefen Tränen über die Wangen.
„Mummy“ hatte Emily sie das letzte Mal genannt, als sie ein kleines Mädchen
gewesen war. „Versprich mir, dass wir nie wieder ein ganzes Jahr vergehen
lassen, ohne dass wir voneinander hören!“, beschwor Sibylla sie und strich
ihrer Tochter über das Haar.
    „Nie wieder, Mummy!“, versicherte Emily und
drückte sich an sie.
    „Schwesterchen, wie schön, dass es dir gut
geht!“ Thomas umarmte Emily ebenfalls. Dann kam Sabri. „Ich danke Allah, dass
Ihnen nichts passiert ist!“, sagte er leise und drückte ihre Hand.
    „Die Leute sagen, dass es zwei Tote gab.
Stimmt das?“, mischte Thomas sich ein.
    Emily nickte: „Einer gehört zu den
Angreifern. Frédéric und Christian haben gesehen, wie Vater ihn mit einer
Schaufel erschlagen hat, nachdem dieser Aynur angeschossen hatte. Die andere
Tote ist Aynurs Dienerin Tamra. Die Kugel, die Aynur gestreift hat, traf Tamra
ins Herz.“
    „Wo waren Sie während des Überfalls, Miss
Emily?“, fragte Sabri besorgt.
    „Ich habe mich mit Malika und meinem jüngsten
Bruder im Haus versteckt.“
    „Gut“, entgegnete Sabri. Sekundenlang hielten
ihre Augen einander fest. Dann fragte Sibylla: „Wie geht es André?“
    „Vater ist immer noch bewusstlos“, berichtete
Emily beklommen. „Seit fast zwei Tagen schon. Ich mache mir große Sorgen.“
    Sabri ergriff die Initiative: „Thomas, ich
schlage vor, dass du ins Haus gehst und Monsieur Rouston und seine Frau
versorgst. Ich kümmere mich inzwischen um die Verletzten hier draußen.“
    „Eine gute Idee. Danach komme ich und helfe
dir“, stimmte Thomas zu. „Emily, zeigst du mir, wo ich die beiden finde?“
    „Ich komme mit!“, rief Sibylla eilig
hinterher. „Du brauchst gewiss Hilfe.“
     
    Christian, Emily und Malika hatten ihren
Vater in ein kleines Zimmer getragen, in dem sonst Besucher oder Durchreisende
übernachteten. Still und reglos lag er auf dem Bett, mit einer Wolldecke
zugedeckt. Seine rechte Gesichtshälfte war blaurot unterlaufen und stark
geschwollen. Darüber klaffte an der Schläfe eine zwei Finger breite und einen
Finger lange offene Wunde. Die Ränder waren schwarz von getrocknetem Blut, das
verletzte Gewebe dick geschwollen.
    „Das sieht schlimm aus“, murmelte Sibylla.
Sie beugte sich vor und legte eine Hand auf den unversehrten Teil von Andrés
Stirn. Die Haut fühlte sich kalt und wächsern an.
    „Wenn ich ihn untersuchen soll, musst du mir
Platz machen, Mutter.“ Thomas schob sie sanft zur Seite und setzte sich auf die
Bettkante. Dann tastete er Andrés Gesicht ab, während Sibylla angespannt zusah.
    „Die Schädelknochen sind nicht gebrochen“,
stellte Thomas schließlich fest. Er nahm die Öllampe, die auf einem Tischchen
neben dem Bett stand, und hielt sie dicht über Andrés Gesicht. „Die Wunde sieht
nur auf den ersten Blick schlimm aus. Sie beginnt bereits, zu heilen, und der
Knochen ist unversehrt. Ich werde sie reinigen und verbinden. Die Schwellungen
können wir kühlen. Den Rest müssen wir der Zeit überlassen.“
    „Den Rest?“, hakte Sibylla nach. „Meinst du
damit, ob er wieder aufwacht?“
    Thomas schob vorsichtig mit zwei Fingern
Andrés Augenlieder hoch und beleuchtete die Pupillen. Schließlich stellte er
die Lampe wieder auf das Tischchen und stand auf. „Die Bewusstlosigkeit ist
sehr tief“, erklärte er Sibylla und Emily. „Ob sein Gehirn Schaden genommen
hat, kann ich erst sagen, wenn er aufwacht. Ich hoffe, dass das innerhalb der
nächsten zwei Tage passiert.“
    „Und wenn nicht, Hakim?“, fragte eine leise
Stimme aus dem

Weitere Kostenlose Bücher