Die Loewin von Mogador
Hände
an seinen Kopf und schwankte rückwärts. Über ihm tauchte das Gesicht des
Anführers auf, zu einer hässlichen triumphierenden Grimasse verzogen. In seinen
Ohren sirrte und summte es laut und immer lauter, über ihm wogte eine flirrende
tanzende Wolke, die über den Mauern von Qasr el Bahia aufzog und den Himmel
verdunkelte. Heuschrecken, nicht das auch noch, dachte er, bevor er in eine
bodenlose Schwärze stürzte.
Tränen liefen über Frédérics Gesicht. „Die
Zähne des Windes haben zwar einen Teil unserer Ernte vernichtet, aber sie waren
auch unsere Rettung. Hätte Allah sie nicht im richtigen Moment geschickt, wären
wir alle tot.“ Fahrig griff er nach seinem Becher und trank. Sibylla nahm den
Krug und schenkte ihm mit vor Entsetzen zitternder Hand nach.
Schließlich räusperte John sich und fragte:
„Was meinst du mit ‚Zähnen des Windes‘?“
„Wanderheuschrecken“, erwiderte Frédéric.
Sein Blick verlor sich, als er noch einmal die Einzelheiten dieses schlimmen
Tages durchlebte. „Es war der größte Schwarm, den ich je gesehen habe. Wie eine
Gewitterwolke kamen sie über die Berge und verdeckten die Sonne. Sie fielen zahlreicher
vom Himmel als es Sandkörner in der Wüste gibt. Und überall war es so laut!
Krähen und Raben, die sich kreischend auf die Insekten stürzten, und all die
Menschen, die um Hilfe schrien. Ich und Christian waren im Wehrturm in
Sicherheit, aber im Hof liefen die Leute um ihr Leben. Doch als die
Heuschrecken kamen, scheuten die Pferde der Angreifer, und sie mussten fliehen.
Es war wahrhaftig ein Wunder! Als alle Angreifer fort waren, kletterte ich aus
dem Turm und verrammelte das Tor. Und dann habe ich meine Eltern gesehen…“
Frédérics Stimme brach. „Ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben. Mein Vater
war bewusstlos, als ich weggeritten bin. Er hat eine schlimme Wunde am Kopf,
meine Mutter wurde angeschossen. Tamra, unsere Dienerin, wurde von einer Kugel
getötet. Ich muss zurück! Wer weiß, wie es meinen Brüdern und Schwestern geht,
so ganz allein!“ Frédéric stemmte sich vom Diwan empor, obwohl er vor
Erschöpfung schwankte.
Sibylla stand ebenfalls auf. „Das ist keine
gute Idee, Frédéric. Du warst heute sehr tapfer, ein wirklicher Held. Aber
jetzt musst du ausruhen. Nadira hat ein Zimmer für dich hergerichtet.“
Als er Einwände erheben wollte, legte sie ihm
eine Hand auf die Schulter. „Ich würde selbst am liebsten sofort losreiten,
denn meine Tochter befindet sich auf dem Gut. Aber es nützt niemandem, wenn wir
im Dunkeln mit den Pferden stürzen. Ich bin sicher, dass Emily und Malika das
Tor fest verrammelt haben. Diese Nacht sind die Menschen innerhalb der
Gutsmauern in Sicherheit. Und morgen früh reiten wir zusammen nach Qasr el
Bahia.“
„Ich werde mit Nadira meine Sachen packen“,
verkündete Sibylla, nachdem Frédéric sich widerstrebend in das vorbereitete
Zimmer zurückgezogen hatte. „Außerdem sollten wir Thomas benachrichtigen. Auf
dem Gut gibt es Verletzte. Wahrscheinlich werden wir einige Zeit fort sein. Du
musst so lange ohne mich die Geschäfte führen, John.“
„Das ist kein Problem“, versicherte er. „Aber
ihr könnt auf keinen Fall allein nach Qasr el Bahia reiten. Ich bin überzeugt,
dass die Schurken sich noch in der Nähe des Gutes herumtreiben. Drei
unbewaffnete Reiter sind eine willkommene Beute für sie. Ich werde den Kaid
bitten, uns eine Eskorte zu stellen.“ Er eilte in sein Arbeitszimmer und kam
wenig später mit dem versiegelten Schreiben zurück. Sibylla hatte inzwischen
Hamid geholt, damit er den Brief zum Statthalterpalast brachte.
„Wenn du Nachricht vom Kaid hast, gehst du
zum Haus des Doktors und holst ihn hierher!“, befahl John dem Mann, der ernst
nickte. Auch unter den Dienstboten hatte sich der Überfall auf das Gut
herumgesprochen.
„Ich bin so froh, dass du dich um alles
kümmerst!“, gestand Sibylla erleichtert. „In meinem Kopf herrscht ein solches
Durcheinander! Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen.“
„Wozu hat man Familie?“ John umarmte seine
Mutter.
Die Tür zum Salon öffnete sich, und Victoria
kam herein. Sie balancierte ein Tablett mit einer Teekanne und Tassen. „Nadira
hat mir berichtet, was passiert ist. Hoffentlich geht es Emily gut“, sagte sie,
während sie das dampfende Getränk eingoss.
„Tee ist genau das, was ich jetzt brauche.“
Sibylla sah ihre Schwiegertochter dankbar an, und Victoria errötete. Sie goss
auch John ein. Dann
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