Die Loewin von Mogador
ihre afrikanischen
Landsleute so gedemütigt und versklavt zu sehen, sondern auch an ihr eigenes
Schicksal erinnert wurde.
„Woher kommen die Gefangenen?“, fragte
Sibylla die Dienerin. „Weißt du, welchem Stamm sie angehören? Ist es derselbe,
in dem du geboren wurdest?“
Nadira erwiderte Sibyllas forschenden Blick
traurig. „Diese hier sind Ibo, Herrin, ich bin eine Mandingo. Aber in unserem
Leid sind wir alle Brüder und Schwestern.“
Ibo und Mandingo. Sibylla hatte noch nie von
ihnen gehört. Sie wusste weder wo noch wie diese Menschen lebten. Sie hatte
immer gedacht, Schwarzer wäre Schwarzer. Ihr wurde bewusst, dass sie im Grunde
keine Ahnung von den Bewohnern dieses Kontinents hatte.
In diesem Moment nahm sie war, wie der
Treiber erneut ausholte, um zwei stolpernde Männer zu schlagen, doch bevor er
dazu kam, galoppierte von hinten ein Reiter heran, packte ihn am Arm und riss
ihn herum. Mit einem überraschten Aufschrei stürzte der Mann von seinem
Maultier.
„Arrête-toi! Hör auf!“, brüllte André Rouston
und dirigierte seine braune Stute so, dass ihre Hufe nur Zentimeter vom Körper
des erschrockenen Treibers entfernt aufstampften. Hastig rollte der Mann sich
zur Seite und sprang auf die Beine. Aber der Franzose war sofort wieder neben
ihm und packte seinen Arm. „Eure Sklaven sind eure Brüder, so befahl es der
Prophet! Wenn ich noch einmal sehe, dass du oder einer deiner Kompagnons die
Leute misshandelt, binde ich euch aneinander wie diese armen Teufel!“, stieß er
hervor.
Der Treiber starrte ihn hasserfüllt an und
versuchte, sich loszureißen. Rouston stieß ihn angewidert von sich, so dass er
fast noch einmal gefallen wäre.
Sibylla verfolgte die Szene mit angehaltenem
Atem. Endlich fand einer in dieser großen Karawane den Mut, sich für die
gefangenen Schwarzen einzusetzen!
Rouston hatte sich der Reisegruppe in
Marrakesch angeschlossen, weil er zu den Chiadma zurückkehren wollte. Sie
selbst hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit ihm zu unterhalten,
meistens ritt er ein Stück von der Karawane entfernt.
„Gibt es Schwierigkeiten?“ Toledano war auf
seinem Esel von der Spitze der Karawane eilig herangetrabt. Einer der Treiber
musste ihn benachrichtigt haben.
„Halten Sie Ihre Männer davon ab, diese
Menschen zu misshandeln!“, fuhr der Franzose ihn an.
„Mit Verlaub, Senor Rouston. Ich habe die
Neger rechtmäßig erworben, und wenn sie störrisch sind, werden sie gezüchtigt.
So lernen sie die Stärke des Herrn zu schätzen.“
Der Kaufmann sprach ruhig. Gleichzeitig ließ
sein bestimmter Tonfall keinen Zweifel, dass er sich die Einmischung verbat.
„Sie sind nicht störrisch, sondern erschöpft,
Senor Toledano!“, widersprach Rouston, doch der Kaufmann neigte nur höflich den
Kopf und wendete seinen Esel. Er wollte keinen Streit.
Benjamin hatte sich ebenfalls genähert und
zügelte sein Maultier neben Sibylla. Er merkte, wie bewundernd seine Frau den
Franzosen anstarrte, und das ärgerte ihn.
„Will unser heldenhafter Vertreter der Grande
Nation die Neger in den Genuss der Menschenrechte kommen lassen?“, bemerkte er
süffisant.
„Du hast keinen Grund, dich aufzuspielen. Du
machst schließlich mit einem Sklavenhändler Geschäfte“, bemerkte Sibylla kühl.
Er starrte sie entrüstet an. „Für jemanden,
dessen Großvater mit dem Sklavenhandel ein Vermögen gemacht hat, sitzt du auf
einem ziemlich hohen Ross“, erwiderte er spitz. „Im Übrigen ist Toledano
Kaufmann des Sultans. Ohne ihn macht hier überhaupt keiner Geschäfte. Es sei
denn, man verkauft Schuhe an Haremsdamen.“ Die öffentliche Anerkennung des
Sultans für seine Frau lag ihm immer noch schwer im Magen.
„Man könnte glauben, du seist neidisch“,
konterte sie.
„Neidisch? Lächerlich! Ich rate dir
lediglich, dich nicht einzumischen. Die Neger gehören Toledano. Er hat für sie
bezahlt und kann mit ihnen machen, was er will!“
Bevor Sibylla etwas entgegnen konnte, trieb
Benjamin sein Maultier demonstrativ hinter Toledano her. Sie blickte ihm mit
zusammengekniffenen Lippen nach. Seit Tagen war Benjamin ihr gegenüber kurz
angebunden und gereizt. Sie hatten noch einige Zeit in Marrakesch verbracht,
aber sie hatte ihn kaum zu Gesicht bekommen. Dabei hätte sie gern gemeinsam mit
ihm die alte Königsstadt des Südens besichtigt. Doch er mied sie, so als wäre
es ihre Schuld, dass die Audienz beim Sultan schlecht für ihn gelaufen war. Sie
hatte ihm noch am selben Abend in der Kammer
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