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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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zehn Prozent erhöht?“
    „Still, Hopkins!“ Konsul Willshire packte
Benjamin am Arm. „Machen Sie gute Miene zum bösen Spiel, sonst erhöht er die
Zölle noch mehr!“
    Benjamin erbleichte. Noch nie hatte ihn
jemand so betrogen und hereingelegt! Er musste sich zusammenreißen, um dem
habgierigen Herrscher der Muselmanen nicht seine ganze Wut entgegenzubrüllen.
    Warte nur, dachte er und ballte die Fäuste.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Was du mir jetzt nimmst, hole ich mir Penny
für Penny zurück!
    „Komm!“, forderte Sibylla ihn leise auf und
berührte seine verkrampfte Hand. „Wir gehen zurück zur Herberge.“
    In diesem Moment ertönte wieder die Stimme
des Übersetzers: „Seine Majestät fragt, ob sich unter seinen britischen Gästen
auch die Kauffrau befindet, deren Haarfarbe dem Fell einer Wüstenlöwin
gleicht.“
    Sibylla traute ihren Ohren nicht. Woher
wusste der Sultan, wie die Frauen des Kaids sie nannten? Und was hatte diese
Frage zu bedeuten?
    Zögernd trat sie vor und neigte ihren Kopf
vor dem Herrscher. Sie vernahm die tiefe Stimme des Sultans, die stets sanft
klang, ob er nun die Kaufleute seiner Freundschaft versicherte oder ihrem Mann
die Zölle erhöhte.
    „Seine kaiserliche Majestät sagt“, hörte sie
jetzt den Übersetzer, „das also ist die Kauffrau mit dem Löwenhaar, die Unseren
Frauen die englischen Babuschen verkauft hat. Unsere Frauen sind mit der
Lieferung sehr zufrieden gewesen und lassen der Kauffrau mit dem Löwenhaar
danken.“
    Ein Raunen ging durch die Menge. Überrascht
hob Sibylla den Kopf. Der Sultan nickte leicht und wendete sein Pferd. Wenig
später hatten sich die Palasttore hinter ihm geschlossen.
    Benjamin starrte seine Frau an. Sie hatte ihm
von dem Geschäft mit den Slippern erzählt, aber er hatte es als Spielerei
abgetan. Jetzt aber war seine Frau vom Sultan vor aller Augen gewürdigt worden,
während der Herrscher ihn selbst – ebenfalls vor aller Augen – gedemütigt
hatte.
     
    „Stopp! Sofort aufhören!“ Empört trieb
Sibylla ihr Maultier zwischen den Mann mit der Peitsche und die beiden Sklaven.
Der Treiber zügelte sein Reittier und starrte sie wütend an, den Arm zu einem
weiteren Schlag erhoben. Die beiden Schwarzen kämpften darum, wieder auf die
Beine zu kommen. Blut lief ihnen über den Rücken, ihre Haut war aufgeplatzt und
von Striemen überzogen. An den Handgelenken waren sie mit einem Strick
gefesselt. Ihr Hals steckte jeweils in einer Astgabel, die vor der Kehle
verschnürt und deren Enden zusammengebunden waren. Als einer von ihnen
gestrauchelt war, hatte er den anderen unweigerlich ebenfalls zu Boden
gerissen.
    Sechzig männliche Sklaven und die doppelte
Menge Frauen, einige sogar mit Kindern, begleiteten die Karawane, die vor
eineinhalb Tagen Marrakesch in Richtung Mogador verlassen hatte. Die Frauen
waren nur mit Stricken aneinandergefesselt. Genau wie die Männer trugen sie
lediglich einen Lendenschurz, der ihre Nacktheit nicht einmal notdürftig
bedeckte.
    Gestern Abend, als die Karawane ihr
Nachtlager aufgeschlagen hatte, hatten die Sklaven angefangen, zu singen,
traurig und klagend in so abgrundtiefer Verzweiflung, dass Sibylla eine
Gänsehaut bekommen hatte. Seither dachte sie über das Schicksal der gefangenen
Männer und Frauen nach. Sie wirkten so gebrochen, so mitgenommen und erschöpft.
Es versetzte sie in hilflosen Zorn, wenn sie sah, wie erbarmungslos die Treiber
sie schlugen und vorwärtsjagten. Noch wütender wurde sie, wenn sie merkte, mit
welch unverhohlener Gier viele der Reisenden – egal ob Europäer oder Araber –
die schutzlosen nackten Frauen angafften. Am liebsten wäre sie mit ihrer
Reitgerte auf sie losgegangen, so wie die Treiber mit ihren Peitschen auf die
Sklaven losgingen.
    Wie kann Toledano das zulassen, dachte sie
angewidert, denn es waren seine Sklaven. Er hatte sie in Marrakesch von einer
aus der Sahara kommenden Karawane übernommen und mit seinem Brandzeichen
versehen. Seit sie losgezogen waren, grübelte Sibylla, wie ein Mensch ohne
schlechtes Gewissen mit anderen Menschen handeln konnte und dabei schlimmer mit
ihnen umging als mit seinen Lastkamelen.
    Der wüste Fluch eines anderen Treibers, der
seine Peitsche über den Köpfen von ein paar Frauen schwang, ließ sie erneut
zusammenfahren. Nadira, die mit gesenktem Kopf neben ihrer Herrin ritt, zuckte
ebenfalls zusammen. Sehr still war sie geworden, seit sie Marrakesch verlassen
hatten. Sibylla vermutete, dass sie nicht nur darunter litt,

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