Die Loewin von Mogador
Sklaven,
zu den schwer beladenen Kamelen, zu den Treibern und den Reitern auf ihren
Eseln, Maultieren und Pferden, die in langer Reihe, ohne viel Notiz von ihr zu
nehmen, vorüberzogen. Auch wenn sie an ihrer Misere selbst schuld war, das
durfte ihr nicht passieren! Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ach, wäre ich
doch nur schon zu Hause!“, flüsterte sie.
Rouston ging zu seiner Stute, die ein paar
Meter entfernt an trockenen Grashalmen knabberte. Hinter dem Sattel des Tieres
war seine zusammengerollte Wolldecke für die Nacht befestigt. Er löste die
Schnallen, kehrte zu Sibylla zurück und schob die Decke unter ihren Nacken.
„Sie dürfen sich nicht aufregen, Madame
Hopkins. Ich fürchte, nach Hause kommen Sie erst mit Ihrem Baby im Arm, aber
wir werden Sie sicher in die Karawanserei bringen. Reiten können Sie zwar
nicht, aber das macht nichts. Ich werde eine Bahre für Sie bauen. Toledano muss
mir vier seiner kräftigsten Männer geben, die Sie die nächsten Stunden tragen
können. Halten Sie so lange durch?“ Er warf ihr einen prüfenden Blick zu.
„Ich versuche es.“
„Eine Trage? Wie wollen Sie die machen?“,
fragte Sara Willshire.
„Das habe ich beim Militär gelernt. Ein paar
kräftige Äste und eine Decke sind alles, was ich brauche. Am besten, ich mache
mich gleich auf die Suche. Passende Bäume zu finden, dürfte hier das Schwierigste
sein.“ Er blickte über die fast baumlose, von Sand und Steinen übersäte Ebene.
„Auf der Anhöhe dort drüben wachsen ein paar junge Jujubebäume. Vielleicht kann
ich die verwenden.“ Er schwang sich auf sein Pferd und galoppierte los.
Sara seufzte. Dann zog sie ein Taschentuch
aus ihrer Rocktasche, nahm die Wasserflasche, die am Sattel ihres Maultiers
hing, goss die lauwarme Flüssigkeit auf das Tuch und setzte sich neben ihre
Freundin. „Wie geht es Ihnen jetzt?“ Behutsam tupfte sie über Sibyllas Stirn,
Gesicht und Nacken.
„Im Moment besser, danke.“ Sibylla blickte
der kleinen Staubwolke nach, die sich schnell in Richtung der Anhöhe bewegte.
„Monsieur Rouston handelt wie ein Gentleman, nicht wahr? Ich meine wie ein
echter Gentleman, nicht wie einer, der nur so tut, als sei er höflich zu einer
Frau, und sie in Wahrheit bevormundet.“
Sie beobachteten, wie Rouston auf der Anhöhe
vom Pferd sprang, seinen am Sattel befestigten Krummsäbel nahm und damit
ungeachtet der Hitze auf die Bäume einschlug.
„So wie er über die Bäume herfällt, nur um
Ihnen zu Diensten zu sein, meine Liebe, könnte man fast Mitleid mit den armen
Gewächsen bekommen“, meinte Sara.
Sibylla kicherte. „Was reden Sie denn da!“
Rascher Hufschlag näherte sich. Gleich darauf
sprang Benjamin von seinem Maultier und warf Nadira, die ihm auf dem Esel
gefolgt war, die Zügel zu.
„Sibylla!“ Sein Gesicht war blass vor Sorge.
„Was ist passiert? Geht es dir gut? Du bist doch nicht vom Maultier gefallen?“
Er hockte sich neben sie.
„Nein, aber sie hat Schmerzen im Unterleib.
Vielleicht will das Kind kommen“, informierte Sara ihn.
„Aber doch nicht hier, doch nicht jetzt!“,
stammelte Benjamin genau wie zuvor Sibylla.
„Ich fürchte, das entscheidet das Kind. Ich
hoffe allerdings, dass es sich noch so lange von seinem Entschluss abhalten
lässt, bis wir die Karawanserei erreicht haben.“ Sibylla lächelte schwach.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie du bis
dahin reiten willst“, erwiderte Benjamin zweifelnd.
„Monsieur Rouston baut eine Trage für sie“,
warf Sara ein. „Glücklicherweise war er in der Nähe und konnte Ihrer Frau
helfen.“
Benjamin hörte den leichten Vorwurf in ihrer
Stimme, und seine Miene verfinsterte sich. „Ich habe dir gesagt, du sollst
nicht nach Marrakesch reisen, aber du wusstest es ja besser!“, tadelte er
Sibylla.
„Du hattest ja recht.“ Sie legte eine Hand
auf seinen Arm. „Ich hätte auf dich hören sollen.“
Halb besänftigt entgegnete er: „Weißt du
noch, wie wir in London ins Hafenbecken gestürzt sind? Damals war ich da und
habe dir geholfen. Und heute helfe ich dir, wohlbehalten in die Herberge zu
kommen.“
Als die Umrisse der Karawanserei vor ihnen
auf der Landstraße auftauchten, brach bereits mit der übergangslosen
Schnelligkeit südlicher Gefilde die samtblaue Dunkelheit herein. Sibylla war
trotz der Trage, die Rouston aus zwei stabilen jungen Jujubestämmen und einer
Decke gefertigt hatte, am Ende ihrer Kräfte. Die Schmerzen im Unterleib hatten
seit Stunden kaum mehr aufgehört.
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