Die Löwin
Schrei zog Bianca den Dolch aus seinem Rücken und stach wie von Sinnen auf ihn ein, bis ihr Arm von seinem Blut bedeckt war. Caterina, die der Freundin wie versteinert zugesehen hatte, packte diese an der Schulter und schüttelte sie. »Es ist ja gut! Beruhige dich! Er ist tot! Wir müssen jetzt sehen, dass wir hier rauskommen.«
Bianca starrte mit weit aufgerissenen Augen auf ihre blutigen Hände. »Du hast Recht, mia amica. Überlassen wir die beiden Schufte dem Teufel, der sicher schon nach ihren Seelen greift.« Sie ließ das Messer fallen, als wäre es glühend heiß geworden, und versuchte, ihre Hände mit einem sauberen Zipfel des Bettlakens zu reinigen.
Caterina zitterte und hätte am liebsten laut aufgeschrien. So lange hatte sie nach dem Mörder ihres Vaters und ihres Bruders gesucht, und nun lag er vor ihr. Sie blickte auf Borelli nieder. Er lag halb von Ranuccio verdeckt auf dem Rücken. Seine Wange war durch ihren Schnitt bis auf den Knochen aufgeschlitzt worden, und in seiner linken Augehöhle sammelte sich Blut. Ihr wurde bei dem Anblick übel, und sie drehte ihm den Rücken zu.
Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an Flucht. Daher hob sie den Dolch, den Bianca fallen gelassen hatte, wischte ihn mit eckigen Bewegungen sauber und hielt ihn ihrer Freundin hin. »Du solltest ihn mitnehmen. Bewaffnet haben wir mehr Chancen.« Mit zusammengebissenen Zähnen bückte sie sich, öffnete Borellis Gürtel und zerrte ihn unter dem sich rot färbenden Körper hervor. Während sie wieder vor Ekel würgen musste, wischte sie das Blut von dem Riemen, an dem Borellis Börse hing, und schlang ihn sich um die Taille.
Bianca nahm Ranuccios Gürtel an sich, auch wenn ihr Gesicht sich angesichts der klaffenden Wunden, die den Leichnam entstellten, langsam grün färbte. Als sie den Dolch in die Scheide stieß, richtete sie sich so hoch auf, wie ihre rundliche Figur es zuließ. »Es soll niemand wagen, sich uns in den Weg zu stellen, denn dann werde ich zur Löwin!«
In Caterinas Ohren klang dieser Ausruf jedoch mehr wie das Summen eines ängstlichen Kindes im Wald. Sie ging zur Tür und zog diese vorsichtig auf. Draußen war alles still und dunkel. Nun erst bemerkte sie, dass die Dämmerung heraufgezogen war und die Konturen in der Kammer sich auflösten. Selbst die beiden starr daliegenden Männer wurden zu Schatten, denen nichts Bedrohliches mehr anhaftete. Erleichtert, weil die Dunkelheit sie wie einen schützenden Mantel deckte, verließ Caterina den Raum und schlich die Treppe hinab. Bianca zögerte noch einen Augenblick, folgte ihr dann und hielt sich dicht hinter ihr.
Unten vernahmen sie Stimmen und Gesang, als näherten sie sich einer Schenke. Anscheinend widmeten Borellis und Ranuccios Spießgesellen ihre Aufmerksamkeit den Weinvorräten. Das würde ihre Flucht erleichtern, dachte Caterina und schlüpfte durch das Portal ins Freie. Sofort zuckte sie zurück und prallte gegen Bianca, die ein leises, schnell unterdrücktes Aufstöhnen vernehmen ließ.
Der Burghof war von Fackeln erhellt und voller Menschen. Gerade stieg der Anführer, in dem Caterina Ugolino Malatesta erkannte, vom Pferd, während ein Teil seiner Männer noch das offene Tor passierte. Hinter ihm schwang sich ein junger Edelmann aus dem Sattel, der den Beschreibungen nach, die Caterina von ihren Leuten bekommen hatte, Lanzelotto Aniballi sein musste. Auch Aldobrando di Muozzola befand sich im Gefolge des Condottiere, und sie bedauerte es zum zweiten Mal, dem Sohn des Podesta von Rividello das Leben gerettet zu haben.
Da alle Aufmerksamkeit auf Malatesta gerichtet war und die Knechte die Fackeln, die sie in den Händen gehalten hatten, nun in die Ringe an den Stallwänden steckten, zog Caterina Bianca mit sich und schlich eng an die Mauer gedrückt auf das Tor zu. Sie mussten genau auf ihren Weg achten, denn die Burgbesatzung hatte Kisten, Gerät und allerlei Abfall herumliegen lassen. Caterina stieß sich mehrfach das Schienbein und biss sich jedes Mal auf die Lippen, um ja keinen Schmerzensschrei auszustoßen. Biancas scharfen Atemzügen entnahm sie, dass es ihrer Freundin nicht besser erging. An einigen Stellen mussten sie durch den flackernden Schein hasten, den die Fackeln über den Burghof warfen, doch keiner der zahlreichen Söldner und Knechte bemerkte sie. Alle starrten auf Malatesta, der laut und ausschweifend redete. Die Männer um ihn herum wussten, dass es besser war, Interesse zu heucheln, da jeder, der sich abwandte
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