Die Löwin
Nun bedauerte Olivaldi es, dass nicht Rodolfo der designierte Erbe des Herzogs von Molterossa war, denn dieser Spross der erlauchten Familie Caetani wäre nach allem, was er inzwischen über dessen Vetter Amadeo gehört hatte, ein geeigneterer Gatte für seine Enkelin gewesen. Der Marchese schob diesen Gedanken wieder von sich, hatte er in seinem langen Leben doch gelernt, dass ein Mann sich zumeist mit dem begnügen musste, was sich in seiner Reichweite befand.
Aufseufzend befahl er den Dienern, seinem Gast und ihm Wein einzuschenken, und schickte sie dann weg. Sein Sekretär schien den Befehl nicht auf sich zu beziehen, wurde aber mit zwei, drei harschen Worten eines Besseren belehrt und zog ein langes Gesicht, weil er ein Geheimnis witterte.
Als sich die Tür hinter der letzten dienstbaren Kreatur geschlossen hatte, wandte Olivaldi sich Rodolfo zu. »Wie treu kann ein Mann sein, der sich einem anderen für gemünztes Gold verschreibt?«
Rodolfo starrte den Marchese an, als wolle er hinter seiner Stirn lesen. »Treue wird nicht allein durch Gold erworben, Euer Gnaden, sondern auch durch einen Schwur, wenigstens bei den Soldaten.«
»Diesen Eid habt Ihr mir geleistet. Wie viel gilt er Euch?«
Jetzt fühlte Rodolfo sich in seiner Ehre angegriffen und hob abwehrend die Hände. »Ich habe Euch Treue geschworen – bei meiner Ehre –, und diese ist mir heilig! Meine Kraft, mein Wissen und mein Können stehen Euch zur Verfügung, und ich werde Eure Befehle ausführen, solange sie meine Ehre nicht in den Schmutz treten.«
»Und wenn ich Euch bewusst in den Tod schicken würde?«
»… werde ich Euch gehorchen!« Ganz so sicher, wie Rodolfo sich gab, fühlte er sich allerdings nicht, und er begriff schnell, dass der Marchese ihn durchschaute. Einen Augenblick hielt er den Atem an, denn ein Rückzieher hätte ihn beschmutzt. Dann zuckte er mit einem misstönenden Lachen die Schultern. »Sterben muss jeder einmal, und ich habe sehr wenig zu verlieren. Wenn Ihr also dieses Opfer von mir fordert, so bringe ich es Euch.«
»Das würdet Ihr tatsächlich tun!« Der Marchese verbarg sein Erstaunen nicht. »Es mag sein, dass der Dienst, den ich von Euch fordern werde, Euch in den Tod führt. Seid versichert, dass die Angelegenheit, um die es geht, mich meinen Kopf und vielleicht noch mehr kosten kann. Deswegen muss ich wissen, ob Eure Treue mir gilt oder Gian Galeazzo Visconti.«
Diese Frage erstaunte Rodolfo so sehr, dass er einige Augenblicke überlegen musste, bis er eine ehrliche Antwort geben konnte. »Ich stehe nicht in den Diensten des Herzogs von Mailand, sondern in Euren!«
»Also würdet Ihr auch gegen die Männer unter dem Banner des Visconti kämpfen, wenn ich es Euch befehle?«
Rodolfo schluckte und wollte schon ein paar ausweichende Sätze von sich geben, aber dann dachte er an Ugolino Malatesta und Fabrizio Borelli, mit denen er noch eine Rechnung zu begleichen hatte und die ebenfalls in Gian Galeazzos Diensten standen. »Wenn es denn sein muss … Ich folge Euren Befehlen!«
»Ihr sollt mir aus innerer Überzeugung dienen und nicht mit Widerwillen! Ich kenne Eure Träume von einem friedlichen Italien und teile sie mit Euch. Etliche Jahre hatte ich gehofft, Visconti würde uns mit der Macht Mailands im Rücken diesem großen Ziel näher bringen. Doch mittlerweile ist Gian Galeazzo zu einem Tyrannen geworden, der jedes Wort außer seinem eigenen verachtet, und der Gedanke an seinen Nachfolger erfüllt mich mit Grausen. Giovanni Maria Visconti ist zwar kaum dem Knabenalter entwachsen, aber er zeigt jetzt schon, dass er nicht der Mann ist, der Recht und Gesetz bringen und bewahren kann. Unter seiner Herrschaft würden wir alle zu Sklaven werden und unsere Leben weniger gelten als das einer Laus.«
»Wenn es so käme, läge es nicht in unserer Macht, es zu verhindern. Gian Galeazzo besitzt den Norden Italiens beinahe schon vollständig und greift nun in das Zentrum hinein.«
Der Marchese bleckte die Zähne. »Noch steht die Herrschaft des Herzogs auf tönernen Füßen, denn er hat seinen Besitz mit Angst und Schrecken und nicht mit Überzeugungskraft ausgedehnt. Um das Gebäude seiner Macht zum Einsturz zu bringen, sind jedoch mutige Schritte vonnöten. Vor einem Jahr sah es schon so aus, als würde Ruprecht von der Pfalz Gian Galeazzo stürzen, um seinem Widersacher Kaiser Wenzel den Stützpfeiler seiner Macht zu nehmen und den Papst von der Bedrohung durch Mailand zu befreien. Doch nach seiner
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