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Die Löwin

Die Löwin

Titel: Die Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und Gesten an wie eine Gänseherde, und diesmal säumte keiner. Allerdings ging es nicht so rasch vorwärts, wie sie es sich gewünscht hätten, denn ihnen kamen immer wieder schwer beladene Saumzüge entgegen, und zweimal mussten sie unruhig gewordene Tragtiere überholen, die von ihren Führern nur mühsam in einer Reihe gehalten werden konnten. Über ihnen wuchs das winzige Wölkchen mit der Schnelligkeit galoppierender Pferde, und als sie das Hospiz auf der Kuppe über sich sahen, begann es zu schneien und zu graupeln.
    »Gebt Acht, dass die Tiere nicht auf dem schlüpfrigen Fels ausgleiten!«, warnte der Bündner und begann so schnell bergauf zu laufen, dass die meisten ihm kaum folgen konnten. Ein Donnerschlag rollte durch das Tal, fing sich in den umliegenden Bergen und hallte mit betäubender Kraft von den Felswänden wider. Der Graupelschauer fiel nun so dicht, dass die Reiter die Köpfe ihrer Reittiere nicht mehr erkennen konnten, und für Augenblicke geriet Caterina in Panik, sie könnten das Hospiz verfehlen und sich in den Bergen verirren. Vor Kälte zitternd trieb sie ihr Maultier an und rief gleichzeitig um Hilfe. Malle schrie etwas in den Wind hinein und schloss so eng zu ihr auf, dass sie die Magd und ihr Reittier wie einen weißen Schemen neben sich sah. »Wir werden sterben, Jungfer!«, verstand Caterina nun.
    »Ich bin Trefflich entkommen und habe die Via Mala bezwungen, also werde ich auch hier nicht enden!«, antwortete Caterina. Aber sie war nicht so mutig, wie sie sich selbst weismachen wollte, denn die Welt um sie herum bestand nur noch aus eisigem Weiß, und sie hatte längst jede Orientierung verloren. Gerade als sie ihr Maultier zügelte, weil sie befürchtete, jeden Augenblick in einen Abgrund zu stürzen, tauchte ihr Führer wie aus dem Nichts aus und ergriff ihre und Malles Zügel.
    »Gleich seid ihr beim Hospiz und in Sicherheit«, brüllte er gegen den tobenden Sturm an.

10.
    E in großer Napf Gerstensuppe und ein Becher bitteres Bier weckten Caterinas Lebensgeister, und sie fragte sich mit einem spöttischen Lachen, was sie auf dieser Reise wohl noch alles würde durchstehen müssen. Da das Unwetter sie an diesem Ort gefangen hielt, rollten sie und die anderen Reisenden ihre Decken im Schlafsaal des Hospizes aus und fielen trotz des Lärms um sie herum und einiger nicht besonders angenehmer Gerüche in einen festen Schlaf, aus dem Caterina erst am nächsten Morgen erwachte. Nach einem ausreichenden Frühstück, das ebenfalls aus warmer Suppe bestand, brach sie mit einer bangen Erwartung auf und sah sich von ihrer Vorahnung nicht getäuscht, denn der weitere Weg schlängelte sich in vielen Schleifen und Serpentinen zu Tal und führte dabei oft genug an steil in die Tiefe fallenden Abhängen vorbei, die schon manchem Reisenden zum Verhängnis geworden waren. Martin, der Anführer der fünf Veteranen in Caterinas Begleitung, spottete über Malle, die beim Anblick jeder Felskante, hinter der es ein paar Manneslängen hinabging, Töne von sich gab wie ein angestochenes Schwein, und die anderen Reisenden ließen ebenfalls das eine oder andere böse Wort über die völlig verängstigte Magd fallen. Aber im Gegensatz zu den Befürchtungen, die Malle ausstieß, musste die Gruppe weder eine zweite Via Mala überwinden noch einen weiteren Schneesturm über sich ergehen lassen. Dafür wurde die Landschaft bei jeder Kehre des Weges lieblicher. Schließlich schien die Sonne so warm vom Himmel, dass Caterina die Leute in ihrer Reisegruppe beneidete, die sich bis aufs Hemd ausziehen konnten. Ihr verbot die Schicklichkeit, sich zu entblößen, und Martin und seine Kameraden litten nicht weniger als sie, denn da sie auf alles vorbereitet sein wollten, weigerten sie sich, ihre ledernen Rüstungen auszuziehen.
    Im Tal angekommen eilte Malle in die erste Kirche, auf die sie trafen, und küsste die Steinplatten vor dem Altar aus Dankbarkeit, den Weg über das Gebirge überstanden zu haben. Caterina verrichtete ein stilles Gebet und bewunderte dann den reichen Bilderschmuck des nach außen hin schlichten Gotteshauses. Ein begnadeter Künstler hatte die Heilige Familie mit glühenden Farben an die Stirnwand gemalt und die Seitenwände mit Szenen aus dem Leben Christi gefüllt. Die Figuren wirkten so lebensecht, dass Caterina sich vorstellen konnte, wie diese an Allerheiligen herabstiegen und den Gläubigen ihren Segen erteilten.
    Es war die erste von vielen Kirchen, die sie auf ihrer weiteren Reise

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