Die Löwin
neben etlichen niedrigen Bauernhöfen auch ein paar aus schweren Holzbalken errichtete Patrizierhäuser, die Kaufleuten gehörten. Gesprächen zufolge, denen Caterina in der Herberge interessiert lauschte, wurde die Via Mala nicht nur von todesmutigen Reisenden genutzt. Man transportierte auch Waren auf gut ausgebildeten Saumtieren oder als Traglasten durch die Schlucht. Wie gefährlich die Strecke war, bestätigte sich am nächsten Morgen, als sie mit Malle die Kirche des Ortes aufsuchte, um Gott für den glücklichen Verlauf der Reise zu danken. Auf dem Friedhof, der das Kirchlein umgab, zeugten zahllose Holzkreuze von all den Männern, die während der Durchquerung der Schlucht in den Tiefen der Via Mala ihr Grab gefunden hatten.
Die Straße, die die kleine Reisegruppe nun einschlug, war sogar breit genug für Fuhrwerke. Sie führte vom Tal aus stets bergauf und war für Reisende, die die Via Mala überstanden hatten, trotz der schroffen Abhänge und steilen Wegstücke beinahe erholsam zu nennen. Auch das Wetter und die Schönheit der Landschaft hoben die Stimmung, denn die Sonne wärmte, ohne unangenehm heiß zu brennen, und am Himmel kreisten Adler und Habichte auf der Suche nach Nahrung. Als Caterina nach den Tieren Ausschau hielt, die den Greifvögeln als Beute dienen konnten, entdeckte sie in einiger Entfernung von der Straße einige kahle Erdhaufen, auf denen ihr unbekannte Tiere hockten, die bei der Annäherung der Menschen einen scharfen Pfiff ausstießen und in Löchern unter den kleinen Hügeln verschwanden.
Einer der Führer sah ihren fragenden Blick und lächelte. »Das sind Murmeltiere. Sie haben allen Grund, die Menschen zu fürchten, denn ihr Fett ist ein großartiges Heilmittel. Es heißt sogar, Hexen würden es für ihre geheimen Künste benötigen. Murmeljäger stellen ihnen nach und versuchen, sie zu fangen, aber meist ist das Murmel schneller als sie. Doch wenn man eines erwischt, wiegt der Ertrag alle Mühen auf. Es ist auf alle Fälle ein leichteres Brot, als Reisende und Waren durch die große Schlucht zu bringen, wenn auch nicht ganz ungefährlich. Ein Jäger, der nicht Acht gibt, kann leicht dem Teufel einige hundert Klafter näher kommen, bevor seine Seele zum Himmel aufsteigt.«
Caterina taten die possierlichen Tiere leid, die wegen ihres Fettes gejagt wurden, aber da sie bei dem Bündner nicht auf Verständnis hoffen konnte, äußerte sie sich nicht dazu und ritt weiter. Hinter ihr jammerte Malle, weil ihr Hinterteil wund war, und schimpfte über die Reise, die in ihren Augen einer Höllenfahrt glich.
»Du hättest ja in Eldenberg bleiben können! Aber du hattest nichts Eiligeres zu tun, als Hilda deine Schlüssel zu übergeben und mit mir zu kommen«, wies Caterina sie zurecht.
Malle, die nun den Posten einer Leibmagd einnahm, maß ihre Herrin mit einem vernichtenden Blick. »Hätte ich Euch allein nach Italien reisen lassen sollen? Ihr wisst doch gar nicht, wie es dort zugeht.«
Caterina lachte hell auf. »Gib doch zu, dass du Heimweh hattest!«
Empört schüttelte Malle den Kopf, doch an ihrem Gesicht war unschwer zu erkennen, dass Caterina ins Schwarze getroffen hatte. Aber sie wusste auch, dass die brave Magd ihr an jeden Ort dieser und aller jenseitigen Welten gefolgt wäre, und schenkte ihr ein dankbares Lächeln.
Die Hälfte des Weges zur Passhöhe hatten sie bereits zurückgelegt, als ihr Führer sichtlich unruhig wurde und immer wieder zum Himmel aufblickte. »Das sieht nicht gut aus«, erklärte er. »Da braut sich ein heftiges Unwetter zusammen!«
Caterina zuckte zusammen, sie musste an die Gewitternacht denken, die sie in der Wolfsgrube hatte zubringen müssen. Als sie selbst den Himmel betrachtete, erschien er ihr blau und friedlich. Nur über einem Gipfel im Norden war ein winziges Wölkchen zu sehen, das in einem fahlen Weiß glänzte. Caterina winkte beruhigt ab. Bis sich hier ein Unwetter entspann, würden sie längst die Passhöhe und das dortige Hospiz erreicht haben. Gerade als sie zu dieser Überzeugung gelangt war, fuhr ein eisiger Windstoß über sie hinweg, als wolle die Natur oder gar der Heilige, der für diesen Pass verantwortlich war, sie für ihren Vorwitz bestrafen. Sie hatte sich auf den Rat ihres Führers hin dicker angezogen, als es dem schwülen Wetter im Tal angemessen gewesen war, und zu Beginn stark geschwitzt. Jetzt musste sie jede Schlaufe ihres Umhangs schließen und die Kapuze festziehen.
Der Führer trieb seine Schützlinge mit Worten
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