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Die Löwin

Die Löwin

Titel: Die Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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drückten.
    »Weiter!« Zum dritten Mal drängte der Bündner. Mit dem Gesicht zur Felswand klammerte Caterina sich an den schmierigen, an einigen Stellen halb durchgewetzten Strick, den man an den gefährlichsten Stellen als Handlauf angebracht hatte, und setzte ihren Weg fort. Vor ihr scheuchte ein anderer Bündner den Priester vorwärts. Dieser hatte anscheinend jede Hoffnung auf Gottes Hilfe aufgegeben und greinte wie ein Kind.
    »Was macht ihr, wenn jemand nicht mehr weitergehen will, der Weg aber zu schmal ist, ihn in einen Korb zu setzen?«, fragte Caterina den Mann, der vor ihr ging.
    Dieser zuckte mit den Schultern. »Dann schmeißen wir ihn hinab. Es ist besser, einer geht drauf als wir alle!«
    Caterina schluckte. Eine andere Wahl hatten die einheimischen Führer wohl nicht, aber ihr graute vor der Unerbittlichkeit, die aus den Worten des Mannes sprach. Mehr denn je bedauerte sie, diesen Weg eingeschlagen zu haben, doch sie hatte nicht geahnt, welche Gefahren sie hier erwarteten. Eigentlich hatte sie eine andere Reiseroute nehmen wollen, nämlich die, von der ihr Vater damals gesprochen hatte und auf der auch ihre Mutter und Malle einst nach Deutschland gekommen waren. Aber sie kannte Trefflich und ahnte, dass dieser seine Leute hinter ihr herschicken würde. Der Kaufmann verfolgte seine Pläne mit der Ausdauer eines Bullenbeißers, und es gab keine Sicherheit für sie, ehe sie das Lager ihres Vaters erreicht hatte. Daher war sie nicht über den Fern- und Reschenpass gereist, sondern hatte die Straße über den San Bernardino und den Splügenpass gewählt. Letzterer lag noch ein ganzes Stück vor ihr, und sie glaubte nicht mehr daran, dass sie dieses Tor zu Italien je erreichen würde.
    Du bist eine Närrin!, schalt sie sich in Gedanken. Diesen Weg sind schon viele andere gegangen und heil an ihr Ziel gelangt. Warum sollte es jetzt anders sein? Mut konnte sie sich damit jedoch nicht zusprechen, denn der Schrecken der Via Mala war ihr ins Mark hineingekrochen. Via Mala, schlechter Weg – dieser Name war in ihren Augen eine Untertreibung, man konnte diesen Ziegenpfad, der den fast senkrecht aufsteigenden Felsen abgerungen worden war, beim besten Willen nicht als Weg bezeichnen.
    »Weitergehen! Sonst stürzt du zum Teufel in die Tiefe, anstatt nach oben zu deinem Herrn zu gelangen!« Im ersten Augenblick glaubte Caterina, die Drohung gelte ihr. Dann sah sie, dass der Priester an einer besonders heiklen Stelle stehen geblieben war und sein Kreuz mit beiden Händen umfasste, während die Lippen lautlose Gebete formten. Einer der Bündner kam auf ihn zu und gab ihm einen derben Stoß. »Nach vorne oder nach unten, du hast die Wahl!«
    Der Priester starrte ihn aus großen Augen an und wankte mit zitternden Beinen weiter. Kurz darauf erreichten sie eine steinerne Brücke, welche die beiden Seiten der Schlucht miteinander verband. Dort setzten die Bündner den Priester kurzerhand in einen Korb und trugen ihn ebenso wie Malle als Gepäckstück mit sich. Aus der relativen Sicherheit des Steinbogens drehte Caterina sich um und überzeugte sich, dass die fünf Veteranen der Burgbesatzung, die als Leibwache mitgekommen waren, den bisherigen Weg durch die Schlucht heil überstanden hatten. Zu ihrer Überraschung war es den sie begleitenden Bündnern sogar gelungen, deren Pferde am Zügel mitzuführen, ohne eines zu verlieren. Dies erschien Caterina als das größte Wunder.
    Auf der anderen Seite der Schlucht ging es ebenso Furcht erregend weiter wie vor der Brücke. Während Caterina gegen ihre Angst und ihre Schwindelgefühle ankämpfte, war das Einzige, was sie deutlich wahrnahm, die Gebete des Priesters, dessen Stimme gekräftigt aus dem Korb herausdrang. Malle fiel dünn und zittrig ein und auch sie selbst sprach nun die frommen Worte voller Inbrunst nach. Am liebsten hätte sie auch die Hände gefaltet, um Gott im Himmel die nötige Ehrerbietung zu erweisen, doch die brauchte sie, um sich an der Felswand weiterzuhangeln. Trotzdem ging es mit jedem Schritt besser, und als sie nach einer halben Ewigkeit das andere Ende der Schlucht erreicht hatte, sank sie wie die meisten anderen Reisenden auf die Knie und dankte allen Heiligen für den Schutz und die Hilfe, die die Himmlischen ihnen hatten angedeihen lassen.
    Als sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit den Ort Spluga erreichten, vermochte Caterina sogar wieder ein wenig zu lächeln. Das Dorf war größer, als sie es an dieser elenden Straße erwartet hatte, und es gab

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