Die Löwin
Lanzenspitze sie nur knapp. Caterina biss die Zähne zusammen, bis ihre Kiefermuskeln schmerzten. Mit einem Mal ging es wie von selbst. Die Lanze durchbohrte den Kopf der nächsten Vogelscheuche und wurde ihr beinahe aus der Hand geprellt. Im letzten Moment gelang es ihr, die Spitze wieder herauszuziehen, auch wenn sie dabei so im Sattel schwankte, dass sie beinahe gestürzt wäre. Sie fing sich wieder, und es gelang ihr, erneut die Waffe zu heben. Die vierte Vogelscheuche kam jedoch viel zu früh, als dass sie auf sie hätte zielen können. Jetzt stand noch eine in ihrer Bahn und diese wollte sie unter allen Umständen treffen.
Caterina feuerte sich selbst mit einem lauten Schrei an, stieß die Lanze nach vorne und sah, wie der Kopf davonflog, ein Stück vor ihr herrollte und am Rand des Feldes liegen blieb.
Die Söldner jubelten und schrien: »Monte Elde! Monte Elde!« Dann begannen einige »Capitana!« zu skandieren. Alle fielen ein und ließen ihre Anführerin hochleben. Caterina wurde von den Männern umringt, und Dutzende Hände reckten sich ihr entgegen, die sie eine nach der anderen mit der Linken ergriff und drückte.
»Bravo, Capitana! Ihr seid wahrlich Monte Eldes Tochter«, rief der Söldner, der ihr seine Lanze geliehen hatte.
Caterina reichte die Waffe zurück und lachte. »Du hast deine Wette gewonnen, Görg, und zwar doppelt, da ich zweimal getroffen habe.«
Der Mann lächelte geschmeichelt, weil sie sich an seinen Namen erinnert hatte. Caterina wiederum hatte Grund, Bianca dankbar zu sein, denn diese hatte sie darauf hingewiesen, wie wichtig es war, die Männer persönlich ansprechen zu können. Zwar hatte sie sich bis jetzt nur einen Bruchteil der Gesichter der Eisernen Kompanie merken können, doch zum Glück war ihr dieser Name gerade rechtzeitig eingefallen. Sie nickte Görg zu und schüttelte weitere Hände, die sich ihr entgegenstreckten.
»Für den Anfang war es ganz gut, doch ich werde noch kräftig üben müssen, um euch keine Schande zu machen«, rief sie lachend. »Vor allem brauche ich einen anderen Sattel. Dieser hier mag für ein braves Burgfräulein geeignet sein, doch um mit der Lanze zu stoßen, muss man wie ein Mann auf seinem Ross sitzen.«
»Da habt Ihr Recht, Capitana!« Steifnacken drängte sich jetzt durch die dicht stehenden Soldaten und blickte Caterina so erleichtert an, als wären ihm etliche Felsblöcke vom Herzen gefallen. Obwohl er sich rühmte, über alles in der Kompanie Bescheid zu wissen, war ihm dieser gewiss geplante Streich der Männer vollständig entgangen, und er dankte dem Heiland und etlichen Heiligen dafür, dass die Herrin die Prüfung so gut bestanden hatte.
»Ich werde den Sattler der Kompanie noch heute mit der Anfertigung eines passenden Sattels beauftragen. Ihr werdet auch einen Harnisch benötigen, nicht für den Kampf, sondern für Paraden. Die Leute in den Städten, mit denen wir es zu tun bekommen, wollen ein kriegerisches Schauspiel erleben, und eine Capitana, die wie ein braves Fräulein ihre Leute anführt, macht keinen guten Eindruck.«
»Richtig, Steifnacken! Die Leute sollen sehen, dass Monte Eldes Tochter uns anführt, kein Jüngferlein, das vor einem einzigen Blutstropfen zurückschreckt«, stimmte Friedel ihm eifrig zu.
Caterina fragte sich, in welche Situationen sie wohl noch hineingeraten würde, doch wenn ihre Teilnahme an dem einen oder anderen Wettspiel half, die Stimmung und Kampfbereitschaft der Männer zu steigern, war sie auch dazu bereit. »Es ist also abgemacht. Ihr sorgt für Sattel und Harnisch, Steifnacken, und ich übe mit der Lanze. Ob ich allerdings so gut werde wie mein Vater, wage ich zu bezweifeln.«
Caterina erntete ein herzliches Gelächter, aber auch etliche fröhliche und aufmunternde Worte und blickte stolz auf die versammelten Söldner. Die Eisernen waren dabei, zu sich selbst zu finden und den Exodus der Offiziere zu überwinden. Das war für sie die wichtigste Erkenntnis an diesem Tag. Ein wenig erleichtert winkte sie den Männern noch einmal zu und kehrte ins Lager zurück.
In der Nähe des Eingangs entdeckte sie Francesca und Giovanna, Biancas Töchter. Kaum bemerkten die beiden Mädchen sie, schoben sie sich mit ängstlichen Blicken zur Seite. Wider Willen ärgerte Caterina sich darüber. Sie hielt Pernica an und wies mit dem rechten Zeigefinger auf die Kinder. »Ihr seid wohl eurer Kinderfrau ausgebüchst?«
Da Biancas Magd noch andere Aufgaben hatte, als sich um deren Töchter zu kümmern,
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