Die Loge
der Besucherliste auf seinem Schreibbrett nach, dann verglich er Tiepolos Gesicht mit dem Ausweisphoto. Nachdem diese Identitätsprüfung zufriedenstellend ausgefallen war, ließ er Tiepolo in den Vatikanpalast ein.
Monsignore Donati wartete am Fuß der Scala Regia. Wie gewöhnlich trug er den grimmigen Gesichtsausdruck eines Mannes zur Schau, der ständig auf das Schlimmste gefaßt ist. Kühl schüttelte er Tiepolo die Hand und führte ihn in die päpstlichen Gemächer hinauf.
Wie jedesmal war Tiepolo beim Anblick des päpstlichen Arbeitszimmers leicht schockiert. Es war ein schlichter Raum, der für einen so mächtigen Mann viel zu karg eingerichtet war – wie er fand –, aber doch völlig zu dem bescheidenen Kirchenmann paßte, den er in Venedig kennen und bewundern gelernt hatte. Papst Paul VII. stand am Fenster zum Petersplatz: eine weiße Gestalt vor einem scharlachroten Vorhang. Als Tiepolo und Monsignore Donati hereinkamen, drehte er sich um und rang sich ein müdes Lächeln ab. Tiepolo sank auf die Knie und küßte den Fischerring. Dann faßte ihn der Papst an den Schultern und zog ihn hoch. Bei der Begrüßung packte er den Venezianer fest an den Oberarmen, als wolle er Kraft aus dem bärtigen Hünen ziehen.
»Sie sehen gut aus, Francesco. Venedig bekommt Ihnen offenbar weiterhin prächtig.«
»Bis gestern, Euer Heiligkeit, als ich von einem drohenden Anschlag auf Euer Leben erfahren habe.«
Monsignore Donati nahm in einem Sessel Platz, schlug die Beine übereinander und achtete unauffällig darauf, daß seine Bügelfalten dabei nicht litten. Er war ein vielbeschäftigter Manager, der keine Zeit zu vergeuden hatte. »Also gut, Francesco«, sagte Donati. »Schluß jetzt mit dem theatralischen Getue. Nehmen Sie Platz und erzählen Sie mir genau, was um Himmels willen hier vorgeht.«
Papst Paul VII. sollte an diesem Abend mit einer Delegation argentinischer Bischöfe speisen. Monsignore Donati rief den Kardinal von Buenos Aires an, der die Delegation leitete, und erklärte ihm, Seine Heiligkeit sei unpäßlich und müsse die Einladung leider absagen. Der Kardinal versprach, für die rasche Genesung des Heiligen Vaters zu beten.
Um einundzwanzig Uhr dreißig trat Monsignore Donati auf den Flur vor das päpstliche Arbeitszimmer heraus und sprach den Gardisten an, der dort Wache hielt. »Der Heilige Vater will sich im Garten ergehen und dabei meditieren«, meldete Donati knapp. »Er bricht in wenigen Minuten auf.«
»Ich dachte, Seine Heiligkeit fühle sich heute abend unwohl«, erwiderte der Gardist in aller Unschuld.
»Wie Seine Heiligkeit sich fühlt, geht Sie nichts an.«
»Jawohl, Monsignore Donati. Ich melde der Wache in den Gärten, daß Seine Heiligkeit kommt.«
»Sie tun nichts dergleichen. Der Heilige Vater möchte ungestört meditieren.«
Der Gardist nahm Haltung an. »Jawohl, Monsignore Donati.«
Donati kehrte ins Arbeitszimmer zurück, wo Tiepolo dabei war, Paul VII. in einen rehbraunen langen Mantel zu helfen, zu dem ein breitkrempiger Hut gehörte. Als der Mantel zugeknöpft war, blitzte darunter nur ein schmaler Streifen der weißen Soutane des Papstes hervor.
Der Vatikanpalast hat tausend Räume und kilometerlange Flure und Treppen. Monsignore Donati hatte es sich angelegen sein lassen, jeden einzelnen Meter davon kennenzulernen. Er führte den von Tiepolo begleiteten Papst an dem Gardisten vorbei und verbrachte die folgenden zehn Minuten damit, sie durch ein Labyrinth aus Geheimgängen nach unten zu geleiten – erst durch einen modrigen, kaum schulterbreiten Gang, von dessen gewölbter Decke Wasser tropfte, dann über eine enge Wendeltreppe, deren abgetretene Steinstufen eisglatt erschienen.
Schließlich erreichten sie eine schwach beleuchtete Tiefgarage, in der ein viertüriger Lancia für sie bereitstand. Seine vatikanischen Kennzeichen waren durch gewöhnliche italienische Nummernschilder ersetzt worden. Francesco Tiepolo war dem Papst behilflich, hinten einzusteigen, und nahm neben ihm Platz. Monsignore Donati setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an.
Der Heilige Vater konnte seine Besorgnis hinsichtlich dieser Tatsache nicht verbergen. »Wann haben Sie zuletzt ein Auto gefahren, Luigi?«
»Das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr, Euer Heiligkeit. In jedem Fall bevor wir nach Venedig gekommen sind.«
»Das war vor achtzehn Jahren!«
»Möge der Heilige Geist uns auf dieser Fahrt beschützen.«
»Und alle Engel und Heiligen«, fügte der Papst hinzu.
Donati
Weitere Kostenlose Bücher