Die Loge
untersucht werden muß. Wir müssen uns der betrüblichen Tatsache stellen, daß es unter Katholiken weit mehr Mörder als Retter von Juden gegeben hat. Katholische Militärpfarrer betreuten deutsche Einheiten, die an der systematischen Ausrottung der Juden beteiligt waren. Sie nahmen ihnen die Beichte ab und spendeten ihnen das Sakrament der heiligen Kommunion. Im französischen Vichy-Regime waren katholische Geistliche den französischen und deutschen Sicherheitskräften sogar behilflich, Juden zu Todestransporten zusammenzutreiben. In Litauen verbot der Episkopat Priestern ausdrücklich, Juden zu retten. Die Regierung der Slowakei, an deren Spitze ein Geistlicher stand, bezahlte die Deutschen dafür, daß sie die slowakischen Juden in Vernichtungslager abtransportierten. Im katholischen Kroatien beteiligten sich Priester sogar an der Ermordung von Juden. Ein Franziskaner mit dem Spitznamen ›Bruder Satan‹ leitete ein kroatisches Konzentrationslager, in dem zwanzigtausend Juden vernichtet wurden.« Der Heilige Vater machte eine Pause, um einen kleinen Schluck Tee zu trinken, als müsse er einen bitteren Geschmack hinunterspülen. »Und wir müssen uns auch der traurigen Wahrheit stellen, daß die Kirche nach dem Krieg Milde für die Mörder forderte und Hunderten von Tätern zur Flucht verhalf.«
Schamron rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, sagte aber nichts.
»Morgen, in der hiesigen Großen Synagoge, wird sich die katholische Kirche diesen Fragen erstmals offen stellen.«
»Eure Worte klingen verlockend, Euer Heiligkeit«, sagte Schamron, »aber unter Umständen kann es für Euch gefährlich sein, den Tiber zu überqueren und sie in einer Synagoge so laut zu verkünden, daß die ganze Welt sie hören kann.«
»Eine Synagoge ist der einzig richtige Rahmen für solche Worte – vor allem die Synagoge des römischen Ghettos, in dem die Juden praktisch vor den Fenstern des Papsts zusammengetrieben wurden, ohne daß der geringste Protest laut wurde. Bereits mein Vorgänger hat die Synagoge einmal besucht, um sich auf diese Reise zu begeben. Er hatte das Herz am rechten Fleck, aber ich fürchte, daß viele Elemente der Kurie nicht auf seiner Seite standen, so daß seine Reise vorzeitig endete. Ich werde sie morgen an seiner Statt dort zu Ende bringen, wo er sie begonnen hat.«
»Ihr habt offenbar noch etwas anderes mit Eurem Vorgänger gemeinsam, Euer Heiligkeit«, sagte Schamron. »Es gibt Elemente innerhalb der Kirche – wahrscheinlich sogar hier in Rom –, die gegen eine objektive Untersuchung der Rolle des Vatikans im Holocaust sind. Sie haben bewiesen, daß sie nicht einmal vor Ermordungen zurückschrecken, um die Vergangenheit geheimzuhalten, und Ihr solltet von der Annahme ausgehen, daß jetzt auch Euer Leben in Gefahr ist.«
»Sie sprechen von der Crux Vera?«
»Existiert eine Organisation dieser Art innerhalb der katholischen Kirche?«
Paul VII. und Monsignore Donati wechselten einen langen Blick. Dann sah der Papst wieder zu Schamron hinüber. »Ich fürchte, die Crux Vera gibt es wirklich, Herr Schamron. Sie hatte ihre Blütezeit in den zwanziger und dreißiger Jahren, aber auch im Kalten Krieg, weil sie sich im Kampf gegen den Kommunismus als wirksame Waffe erwiesen hatte. Leider müssen viele der im Namen dieses Kampfes verübten Exzesse direkt der Crux Vera und ihren Verbündeten zugeschrieben werden.«
»Und jetzt, wo der Kalte Krieg Vergangenheit ist?« fragte Gabriel.
»Die Crux Vera hat sich den veränderten Umständen angepaßt und ist zu einem nützlichen Werkzeug für die Aufrechterhaltung doktrinärer Disziplin geworden. In Südamerika hat sie die Anhänger der Befreiungstheologie bekämpft und so manche Greueltat angerichtet, um dafür zu sorgen, daß rebellische Priester wieder Gehorsam leisten. Sie hat unermüdlich gegen Liberalismus, Relativismus und die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils gekämpft mit dem Ergebnis, daß viele innerhalb der Kirche, die mit den Zielen der Crux Vera sympathisieren, ihre manchmal nicht gerade feinen Methoden bewußt ignorieren.«
»Versucht die Crux Vera auch zu verhindern, daß für die Kirche peinliche Geheimnisse bekannt werden?«
»Ohne Zweifel«, antwortete Monsignore Donati.
»Gehört Carlo Casagrande der Crux Vera an?«
»In Ihren Kreisen würde er als Leiter der Operationsabteilung bezeichnet werden, denke ich.«
»Gibt es innerhalb des Vatikans weitere Mitglieder?«
Diesmal antwortete der Papst auf Gabriels
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