Die Loge
aufwerfen würde, die das Gesindel im vatikanischen Pressekorps in seinen infantilen Kolumnen breittreten konnte. Hätte Brindisi wirklich zurücktreten wollen, hätte er seinen Herzenswunsch betont, zu pastoralen Aufgaben zurückzukehren, um die Jungen zu taufen, die Kranken zu trösten und den Sterbenden die Sakramente zu spenden. Alle durchschnittlich intelligenten Vaticanisti hätten ein Schreiben dieser Art als großangelegten Täuschungsversuch erkannt. Marco Brindisi war dazu erzogen, ausgebildet und protegiert worden, innerhalb der Kurie bürokratische Macht auszuüben. Die Vorstellung, er könnte diese Macht freiwillig abgeben, war offensichtlich absurd. Niemand hätte dieses Rücktrittsgesuch ernstgenommen, und der Kardinal hatte ohnehin nicht die Absicht, ein solches niederzuschreiben. Außerdem hatte der Mann, der so etwas von ihm forderte, seiner Ansicht nach nicht mehr lange zu leben.
Hätte er angefangen, ein Rücktrittsgesuch zu verfassen, hätte das in den Tagen nach der Ermordung von Paul VII. unangenehme Fragen aufwerfen können. Hatte es in den letzten Wochen ein Zerwürfnis zwischen den beiden mächtigsten Männern der katholischen Kirche gegeben? Gewänne der Kardinalstaatssekretär durch den Tod des Papstes einen Vorteil? Kein Rücktrittsgesuch, keine peinlichen Fragen. Tatsächlich würde Kardinal Brindisi durch geschickt gestreute Informationen als der engste Freund und Vertraute des Papstes innerhalb der Kurie hingestellt werden – als jemand, der Paul VII. in höchstem Maße bewundert hatte und von ihm sehr geliebt worden war. Diese Pressemeldungen würden die Aufmerksamkeit der zum nächsten Konklave versammelten Kardinäle auf ihn lenken. Eindruck würde auch machen, wie reibungslos und geschickt Marco Brindisi in den traumatischen Wochen nach der Ermordung des Heiligen Vaters die Geschäfte der Kirche führte. In einer solch kritischen Zeit würde es dem Konklave widerstreben, einen Außenstehenden zu küren. Der nächste Papst würde aus der Kurie kommen, und der überzeugende Kurienkandidat würde Kardinalstaatssekretär Marco Brindisi sein.
Sein verträumter Trancezustand wurde durch ein RAI-Bild gestört: Papst Paul VII., der die Große Synagoge in Rom betrat. Vor Brindisis innerem Auge erschien ein anderes Bild: Becket, der vor seinem Altar in Canterbury stand. Die Ermordung eines lästigen Priesters.
Entsenden Sie Ihre Ritter, Carlo. Lassen Sie ihn niedermachen.
Kardinal Marco Brindisi stellte den Ton lauter und wartete auf die Meldung, der Heilige Vater sei einem Attentat zum Opfer gefallen.
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R OM
Die Hauptsynagoge in Rom: byzantinisch und prunkvoll, heute von rastloser Unruhe erfüllt. Gabriel nahm seinen Platz im vorderen Teil ein, so daß er die bima rechts neben sich hatte. Die Hände auf dem Rücken, lehnte er an der kühlen Marmorwand. Neben ihm stand Monsignore Donati, der sichtlich nervös und gereizt war. Von seinem Beobachtungspunkt aus konnte er den gesamten Innenraum gut überblicken. Nur wenige Meter von ihm entfernt, in leuchtend scharlachroten Soutanen, saß eine Gruppe von Kurienkardinälen, die aufmerksam zuhörte, als der Oberrabbiner seine Begrüßungsworte sprach. In den Sitzreihen unmittelbar hinter den Kardinälen drängten sich die ruhelosen Mitglieder des vatikanischen Pressekorps. Rudolf Gertz, der Leiter der Pressestelle, wirkte leicht angewidert. Die restlichen Plätze nahmen gewöhnliche Mitglieder der jüdischen Gemeinde Roms ein. Als der Papst sich erhob, um zu sprechen, war die Spannung der vielköpfigen Menge fast mit Händen zu greifen.
Gabriel widerstand der Versuchung, Paul VII. zu beobachten. Statt dessen ließ er seine Augen auf der Suche nach jemandem oder etwas, der oder das irgendwie verdächtig wirkte, unablässig durch die Synagoge schweifen. Karl Brunner, der in seiner Nähe stand, tat das gleiche. Ihre Blicke begegneten sich kurz. Brunner, davon war Gabriel jetzt überzeugt, stellte keine Gefahr für den Papst dar.
Papst Paul VII. dankte dem Oberrabbiner und der Gemeinde für die Einladung, heute vor ihnen sprechen zu dürfen. Dann schloß er einige Bemerkungen über die Schönheit dieser Synagoge und des jüdischen Glaubens an, wobei er auf das gemeinsame Erbe von Christen und Juden anspielte. Indem er einen Ausdruck seines Vorredners aufgriff, bezeichnete er die Juden als ältere Brüder der Katholiken. Dieser Bund zwischen Geschwistern sei eine spezielle Beziehung, sagte der Papst, die in einen Antagonismus umschlagen
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