Die Loge
könnten. Wir müssen diese Sünde bekennen, und wir müssen um Vergebung bitten.«
Diesmal gab es keinen Beifall, nur überwältigtes und ehrfürchtiges Schweigen. Gabriel hatte den Eindruck, keiner der in der Synagoge Anwesenden könne glauben, daß das Oberhaupt der katholischen Kirche diese Worte ausgesprochen hatte.
»Der Holocaust war kein katholisches Verbrechen, aber die Kirche hat die giftige Saat des Antisemitismus ausgebracht und durch Düngung und Bewässerung dafür gesorgt, daß sie in Europa aufgehen und blühen konnte. Wir müssen diese Sünde bekennen, und wir müssen um Vergebung bitten.«
Gabriel glaubte, Unruhe unter den Kardinälen zu erkennen. Finstere Blicke, Kopfschütteln, Schulterzucken. Er sah zu Monsignore Donati hinüber und flüsterte: »Welcher ist Kardinal Brindisi?«
Der Geistliche schüttelte leicht den Kopf. »Er ist heute nicht hier.«
»Warum nicht?«
»Er behauptet, unpäßlich zu sein. In Wirklichkeit würde er sich lieber auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, als sich diese Rede anzuhören.«
Der Papst sprach weiter. »Die katholische Kirche hätte die Schoa nicht verhindern können, aber es ist durchaus denkbar, daß wir ihre schrecklichen Folgen für viele Juden hätten abmildern können. Wir hätten unsere weltpolitischen Interessen hintanstellen und unsere Verdammung dieser Verbrechen von der Kuppel unserer gewaltigen Basilika aus verkünden sollen. Wir hätten alle Angehörigen unserer Kirche, die zu den Mördern und ihren Helfershelfern gehörten, exkommunizieren sollen. Nach dem Krieg hätten wir uns der überlebenden Opfer annehmen sollen, statt die Täter zu schützen, von denen viele auf ihrem Weg ins Exil im fernen Ausland Unterschlupf in dieser gesegneten Stadt fanden.«
Paul VII. breitete die Arme aus. »Wir bekennen diese und weitere Sünden, die bald ans Tageslicht kommen werden, und bitten euch um Vergebung. Die Tiefe unseres Kummers läßt sich mit Worten nicht beschreiben. In der Stunde eurer größten Not, als deutsche Einsatzkräfte euch aus euren Häusern in der Nachbarschaft dieser Synagoge schleppten, habt ihr um Hilfe gerufen, aber eure Hilferufe sind mit Schweigen beantwortet worden. Und deshalb will ich heute auf die gleiche Weise um Vergebung bitten. Schweigend.«
Papst Paul VII. senkte den Kopf, faltete die Hände unter seinem Brustkreuz und schloß die Augen. Gabriel starrte ihn ungläubig an, dann blickte er sich in der Synagoge um. Er war nicht als einziger sprachlos. Überall sah er offene Münder, selbst bei den sonst so zynischen Journalisten. Zwei der Kardinäle beteten, dem Beispiel des Heiligen Vaters folgend, die übrigen jedoch schienen ebenso verblüfft zu sein wie alle anderen Anwesenden.
In Gabriels Augen besagte der Anblick des am Altar einer Synagoge betenden Papstes noch viel mehr.
Paul VII. hatte gesprochen. Seine Initiative ließ sich nicht mehr rückgängig machen, selbst wenn er nicht mehr lebte, um sie zu befördern. Hätte die Crux Vera ihn wirklich ermorden wollen, hätte sie das vor dieser Rede getan. Ihn anschließend zu ermorden, würde ihn nur zum Märtyrer machen. Also war der Papst zumindest vorläufig sicher. Gabriels einzige Sorge war jetzt, den Heiligen Vater sicher in die päpstlichen Gemächer im Vatikanpalast zurückzubringen.
Gabriel wurde auf eine Bewegung aufmerksam – eine Armbewegung –, aber das war nur Karl Brunner, der die rechte Hand hob und seinen Knopf im Ohr berührte. Im nächsten Augenblick veränderte sich seine Haltung. Er nahm die Schultern zurück und schien sein Gewicht sprungbereit auf die vorderen Fußballen zu verlagern. Blut schoß ihm ins Gesicht, und seine Augen waren in ständiger Bewegung. Er hob das linke Handgelenk an den Mund und sagte leise etwas in das Mikrofon unter der Manschette. Dann trat er rasch einen Schritt auf Monsignore Donati zu.
Der Priester beugte sich zu ihm hinüber. »Irgend etwas nicht in Ordnung, Karl?«
»Im Vatikan treibt sich ein Eindringling herum!«
Nachdem Eric Lange die päpstlichen Gemächer verlassen hatte, ging er die Treppe zu dem im Stockwerk darunter liegenden Büro des Kardinalstaatssekretärs hinunter. Im Vorzimmer traf er Pater Mascone an, Kardinal Brindisis bewährten Privatsekretär.
»Ich möchte den Kardinal sprechen«, verlangte Lange.
»Ausgeschlossen!« Pater Mascone klappte sichtlich ungehalten den vor ihm liegenden Aktenordner zu. »Für wen halten Sie sich, um Himmels willen, daß Sie mit einem solchen Anliegen
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