Die Loge
festhielten. Er griff in seine Tasche, zog ein Exemplar der Sicherheitswarnung mit Gabriels Photo heraus und hielt es hoch, damit es der Papst sehen konnte.
»Er ist ein Attentäter, Euer Heiligkeit! Er ist hier, um Euch zu ermorden!«
»Er ist ein Freund, und er ist hier, um mich zu beschützen. Der Verdacht gegen ihn ist ein Mißverständnis. Monsignore Donati wird Ihnen alles erklären. Vertrauen Sie mir, Karl. Lassen Sie ihn aufstehen.«
Die Autokolonne passierte in raschem Tempo das Annentor und bog dann auf die Via della Conciliazione ab, um weiter zum Tiber zu fahren. Der Papst schloß die Augen. Gabriel sah zu Monsignore Donati hinüber, der sich zu ihm hinüberbeugte und ihm zuflüsterte, Seine Heiligkeit verbringe die Zeit, in der er in Wagenkolonnen unterwegs sei, stets im Gebet.
Ein Motorradpolizist, der die Kolonne begleitete, nahm eine neue Position kaum eineinhalb Meter von Paul VII. entfernt ein. Gabriel begutachtete sein Gesicht, die Form des Unterkiefers und der Backenknochen, die sein amerikanischer Sturzhelm freiließ. In Gedanken verglich er sie mit den Gesichtszügen des Mannes auf den Photos, als erstelle er eine Expertise für ein Gemälde, indem er die Malweise eines Meisters mit der eines neuentdeckten Werks verglich. Die Gesichter waren sich so ähnlich, daß Gabriel unter seine Jacke griff und die Hand auf den Griff der Beretta legte. Monsignore Donati sah, was er tat. Der Papst, der weiter mit fest geschlossenen Augen betete, bekam nichts davon mit.
Als die Autokolonne auf den Lungotevere abbog, ließ sich der Motorradpolizist ein paar Meter zurückfallen. Gabriel fühlte, wie seine nervöse Anspannung abklang. Die Straße vor ihnen war für jeglichen Verkehr gesperrt, und entlang des Flusses standen nur hier und da kleine Grüppchen von Schaulustigen. In diesem Teil der Stadt schien der Anblick einer päpstlichen Wagenkolonne kein allzu großes Aufsehen zu erregen.
Die Fahrt dauerte nicht lange: nach Gabriels Schätzung nur etwa drei Minuten. Die Kuppel der Synagoge tauchte vor ihnen auf, und wenig später rauschten sie an einer Handvoll Demonstranten vorbei. Die Autokolonne hielt auf dem Hof vor dem Hauptportal. Gabriel stieg als erster aus und blockierte die halboffene Wagentür mit seinem Körper. Der Oberrabbiner wartete mit einer Delegation aus Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Roms auf den Stufen der Synagoge. Die päpstliche Limousine war von italienischen und vatikanischen Sicherheitsbeamten umringt, die teils Zivil, teils Uniform trugen. Rechts neben der Treppe drängte sich das vatikanische Pressekorps hinter einer Absperrung aus gelben Bändern. Das Grollen schwerer Motorräder erfüllte die Luft.
Gabriel suchte erst die Gesichter der Sicherheitsbeamten, dann die der Journalisten und Pressefotografen ab. Fast ein Dutzend von ihnen hätten der Attentäter in guter Verkleidung sein können. Er drehte sich um, steckte den Kopf wieder in den Wagen und sah Monsignore Donati an. »Dieser Abschnitt macht mir die größten Sorgen. Bringen wir ihn also rasch hinter uns.« Aber als er sich aufrichtete, stand Karl Brunner mit finsterer Miene hinter ihm.
»Platz da, das ist mein Job!« fuhr Brunner ihn schroff an.
Gabriel gehorchte schweigend. Brunner war Paul VII. beim Aussteigen behilflich. Seine Männer umgaben den Papst wie eine schützende Hülle. Gabriel fand sich in einem Meer aus dunklen Anzügen wieder, in dessen Mittelpunkt der Papst in seiner leuchtendweißen Soutane deutlich sichtbar war.
Die Motorräder verstummten. Auf den Stufen der Synagoge umarmte der Heilige Vater den Oberrabbiner und einige der Delegierten. Auf dem Hof herrschte Stille, die nur durch die von fern herüberdringenden Parolen der Demonstranten und das zikadenartige Surren der Fernsehkameras unterbrochen wurde. Gabriel stand hinter Karl Brunner, dessen Linke den Rücken des Heiligen Vaters leicht berührte, sah sich wachsam um und hielt Ausschau nach etwas Ungewöhnlichem. Einem Mann, der sich seinen Weg durch die Menge nach vorn bahnte. Einem Arm, der hochgerissen wurde.
Hinter ihnen entstand ein kleiner Tumult. Gabriel drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um mitzubekommen, wie drei Carabinieri einen Mann zu Boden rangen. Aber es war nur ein Demonstrant mit einem Schild, auf dem FREIHEIT FÜR CHINESISCHE KATHOLIKEN! stand.
Auch Paul VII. sah sich um. Dabei begegnete Gabriel seinem Blick. »Bitte geht hinein, Euer Heiligkeit«, murmelte Gabriel. »Hier draußen sind zu viele
Weitere Kostenlose Bücher