Die Loge
hinabführte. Gabriel kämpfte sich durch den Verkehr, ignorierte die Symphonie aus Flüchen und wildem Gehupe und nahm die Verfolgung wieder auf.
Die steil abfallende Strecke war eine Abfolge von Serpentinen und Kehren. Das Polizeimotorrad war stärker als die Maschine des Attentäters, und Gabriel hatte nicht mit den Last- und Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen, die eine Beifahrerin mit sich brachte. Er schloß rasch zu den Flüchtenden auf und war bald nur noch dreißig Meter hinter ihnen.
Gabriel griff unter sein Jackett und zückte die Beretta. Er nahm die Waffe in die Linke und gab mit der Rechten noch mehr Gas. Die Maschine röhrte auf und schoß vorwärts. Die Frau vor ihm sah sich um, verdrehte dann den Oberkörper und zielte unbeholfen mit einer Pistole auf ihn.
Die Schüsse gingen fast gänzlich im Dröhnen der Motoren unter. Eine Kugel durchschlug die Windschutzscheibe des Polizeimotorrads. Beim Einschlag bäumte sich die Maschine leicht auf. Gabriels Hand rutschte vom Gas. Der Leopard konnte seinen Vorsprung wieder vergrößern. Gabriel schaffte es, den Drehgriff wieder zu umfassen. Quälend langsam verringerte sich der Abstand zwischen den beiden Maschinen.
Lange wandte seinen Blick kurz von der Straße ab, um den Mann, der sie verfolgte, im Rückspiegel zu taxieren. Schwarzes Haar, dunkler Teint, schmales Gesicht, absolute Entschlossenheit im Blick. War das Gabriel Allon? Der Agent mit dem Decknamen Schwert, der in Tunis in eine Villa eingedrungen war und einen der bestbewachten Männer der Welt eiskalt liquidiert hatte? Der Mann, von dem Casagrande ihm versichert hatte, er werde kein Problem sein? Lange hoffte, sich bei Casagrande einmal dafür revanchieren zu können.
Jetzt jedoch konzentrierte er sich auf die im Augenblick wichtigste Aufgabe: einen Fluchtweg zu finden. Auf dem Aventin jenseits des Tibers stand ein Fahrzeug für ihn bereit. Um es zu erreichen, mußte er sich durch das Straßengewirr von Trastevere schlängeln. Er war zuversichtlich, daß es ihm dort gelingen würde, den Israeli abzuschütteln – falls sie bis dahin überlebten.
Lange dachte an sein Haus in Grindelwald, ans Skifahren unterhalb von Mönch, Jungfrau und Eiger und an die Frauen, die er nach Hause in sein riesiges Bett mitnahm. Dann stellte er sich die Alternative vor: in einem italienischen Gefängnis zu verrotten, Häftlingsfraß vorgesetzt zu bekommen und für den Rest seines Lebens nie wieder eine Frau berühren zu dürfen. Da war alles andere besser, sogar der Tod.
Er gab Vollgas und fuhr gefährlich schnell. Vor ihm lagen die Straßen von Trastevere. Freiheit. Er sah in den Rückspiegel und stellte fest, daß der Israeli den Abstand weiter verringert hatte und vermutlich bald schießen würde. Lange versuchte, noch schneller zu fahren, aber das war unmöglich. Daran war Katrine schuld. Ihr Gewicht bremste ihn.
Dann hörte er Schüsse und fühlte Kugeln an sich vorbeizischen. Katrine schrie laut auf. Der Griff, mit dem sie seine Taille umfaßte, wurde schwächer. »Festhalten!« forderte Lange sie auf, aber in seiner Stimme lag wenig Überzeugung.
Er verließ den Park, fuhr nach Trastevere hinein und raste eine Straße zwischen Mietshäusern mit verblaßten Fassaden entlang. Dann bog er in eine enge Seitenstraße ab, die gepflastert und auf beiden Seiten zugeparkt war. Am Ende der Straße erhob sich der Turm einer romanischen Kirche, dessen Turmkreuz an das Fadenkreuz eines Zielfernrohrs erinnerte. Lange hielt darauf zu.
Katrines Griff lockerte sich weiter. Lange sah sich nach ihr um. Sie hatte Blut auf den Lippen, und ihr Gesicht war kreidebleich. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Israeli war erneut bis auf höchstens dreißig Meter herangekommen und verringerte den Abstand weiter.
»Verzeih mir, Katrine«, murmelte Lange.
Er packte ihr linkes Handgelenk und verdrehte es ruckartig, bis er spürte, daß ihre Knochen brachen. Katrine schrie laut auf und versuchte, sich an seinem Oberkörper festzuklammern – mit nur einer Hand ein aussichtsloses Unterfangen.
Lange fühlte, wie Katrine den Halt verlor und hilflos vom Rücksitz des Motorrads stürzte. Das dumpfe Geräusch, mit dem ihr Körper aufs Pflaster aufschlug, würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Er sah sich nicht um.
Die Frau fiel quer über die Straße. Gabriel hatte weniger als eine Sekunde Zeit, um zu reagieren. Er trat die Fußbremse und betätigte die Handbremse mit einem Griff wie ein Schraubstock. Trotzdem war ihm
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