Die Loge
Kartenständer absuchte, bis er eine Straßenkarte von Oberitalien fand.
Er breitete die Karte auf einem Büchertisch aus und zog dann die Ansichtskarte aus der Tasche. Das Hotel, in dem Benjamin gewohnt hatte, lag in der Kleinstadt Brenzone. Dem Photo nach schien das Städtchen an einem der oberitalienischen Seen zu liegen. Er begann im Westen, arbeitete sich langsam nach Osten vor und las die Namen aller Kleinstädte und Dörfer an den Ufern der großen Alpenseen: erst am Lago Maggiore, dann am Comer See, dann am Iseosee und zuletzt am Gardasee. Brenzone . Da war es – am Ostufer des Gardasees, ungefähr in der Mitte zwischen dem ausgebuchteten Südende und dem dolchartigen Nordufer.
Gabriel faltete die Karte wieder zusammen und ging damit nach unten zur Kasse. Wenig später trat er mit Straßenkarte und Ansichtskarte in der Jackentasche wieder durch die Drehtür auf die Straße hinaus. Sein Blick glitt instinktiv über den Gehsteig, die geparkten Wagen, die Fenster der umliegenden Gebäude hinweg.
Als er sich nach links wandte, um in sein Hotel zurückzugehen, fragte er sich, ob Kommissar Axel Weiss die ganze Zeit, die er in der Buchhandlung verbracht hatte, im Café gegenüber gesessen hatte – und warum er ihm jetzt durch die Münchner Innenstadt folgte.
Gabriel traute sich zu, dem deutschen Kriminalbeamten ohne große Mühe zu entwischen oder ihn bloßzustellen, aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt, sich als ausgebildeter Profi zu erkennen zu geben. Axel Weiss kannte ihn nur als Ehud Landau, Halbbruder des ermordeten Historikers Benjamin Stern – und das machte die Tatsache, daß er ihn beschattete, um so merkwürdiger.
Er betrat ein Hotel in der Maximilianstraße. Nachdem er von einem Münztelefon in der Eingangshalle ein kurzes Gespräch geführt hatte, trat er wieder ins Freie und ging weiter. Der Kriminalbeamte war noch immer da: ungefähr fünfzig Meter hinter ihm auf der anderen Straßenseite.
Gabriel kehrte auf dem kürzesten Weg in sein Hotel zurück. Er ließ sich am Empfang den Schlüssel geben und fuhr mit dem Aufzug in sein Zimmer hinauf. Dort hängte er seine Sachen in einen Kleidersack aus schwarzem Leder, bevor er den Zimmersafe aufsperrte und die Unterlagen, die er vom israelischen Konsulat bekommen hatte, und den Luftpolsterumschlag mit Benjamins Brille herausnahm. Beides legte er in seinen Aktenkoffer und klappte den Deckel zu. Dann knipste er das Licht aus, trat ans Fenster und sah durch einen Vorhangspalt auf die Straße hinunter. Schräg gegenüber parkte ein dunkler BMW im Halteverbot. Gabriel konnte das Aufglühen einer Zigarette hinter dem Steuer sehen. Weiss. Er trat vom Fenster zurück, setzte sich auf das Bettende und wartete darauf, daß das Telefon klingelte.
Zwanzig Minuten später: »Landau.«
»Er steht knapp südlich der Prinzregentenstraße an der Ecke Seitz- und Unsöldstraße. Sie wissen, wo das ist?«
»Ja«, sagte Gabriel. »Geben Sie mir die Nummer.«
Zwei Buchstaben, eine vierstellige Zahl. Gabriel machte sich nicht die Mühe, das Kennzeichen zu notieren.
»Die Schlüssel?«
»An der üblichen Stelle. Hinterer Kotflügel, Randsteinseite.«
Gabriel legte auf, zog seine Jacke an und nahm sein Gepäck. Unten am Empfang erklärte er dem Portier, er müsse leider früher als geplant abreisen.
»Brauchen Sie ein Taxi, Herr Landau?«
»Nein, danke, ich werde abgeholt.«
Der Computer spuckte die Rechnung aus. Gabriel zahlte mit einer von Schamrons Kreditkarten und verließ das Hotel. Er wandte sich nach links und ging mit dem Kleidersack in einer Hand und dem Aktenkoffer in der anderen rasch davon. Zwanzig Sekunden später hörte er, wie eine Autotür geschlossen wurde, dann waren Schritte auf den feuchten Pflastersteinen der St.-Anna-Straße zu hören. Er behielt sein gleichmäßiges Gehtempo bei und widerstand der Versuchung, einen Blick über die Schulter zu werfen.
… Ecke Seitz- und Unsöldstraße …
Gabriel kam an einer Kirche vorbei, bog dahinter links ab und blieb auf einem kleinen Platz stehen, um sich zu orientieren. Dann hielt er sich rechts und folgte einer weiteren schmalen Straße auf den Verkehrslärm zu, der von der vierspurigen Prinzregentenstraße herüberdrang. Weiss beschattete ihn noch immer.
Er lief eine endlos lange Reihe geparkter Wagen ab und las die Kennzeichen, bis er zu dem kam, das ihm vorhin am Telefon genannt worden war. Es gehörte zu einem dunkelgrauen Opel Omega. Ohne erkennbar langsamer zu werden, beugte er sich
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