Die Loge
menschlichen gewählt.«
»Wäre ich nicht gewesen, würdet Ihr noch heute Scharlachrot tragen.«
»Päpste werden vom Heiligen Geist erwählt. Wir geben nur seine Stimmzettel ab.«
»Ein weiteres Beispiel für Eure schockierende Naivität.«
»Begleitet Ihr mich kommende Woche nach Trastevere?«
»Ich fürchte, ich werde kommende Woche Grippe haben.« Der Kardinal stand abrupt auf. »Danke, Euer Heiligkeit. Wieder ein ausgezeichnetes Mahl.«
»Bis Ende nächster Woche?«
»Das bleibt abzuwarten.«
Der Papst streckte ihm die Hand entgegen. Kardinal Brindisi sah auf den im Lampenlicht glänzenden Fischerring hinunter, dann wandte er sich ab und ging hinaus, ohne ihn geküßt zu haben.
Monsignore Donati hatte die Auseinandersetzung zwischen dem Heiligen Vater und dem Kardinal in der Anrichte nebenan belauscht. Sobald Brindisi gegangen war, betrat er das Speisezimmer des Papstes, der mit geschlossenen Augen dasaß und sich müde und erschöpft mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel rieb. Der Privatsekretär setzte sich auf den Stuhl des Kardinals und schob dessen halbvolle Espressotasse von sich weg.
»Ich weiß, daß das unangenehm gewesen sein muß, Euer Heiligkeit, aber es war notwendig.«
Der Papst sah endlich auf. »Wir haben gerade eine schlafende Kobra geweckt, Luigi.«
»Ja, Euer Heiligkeit.« Donati beugte sich nach vorn und senkte die Stimme. »Nun wollen wir darum beten, daß sich die Kobra in ihrer Wut verschätzt und sich selbst beißt.«
6
M ÜNCHEN
Den größten Teil des folgenden Vormittags brachte Gabriel damit zu, Professor Helmut Berger, den Dekan der Fakultät für Neuere Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität, aufzuspüren. Er hinterließ zwei Nachrichten auf dem privaten Anrufbeantworter des Professors, sprach eine dritte auf seine Handy-Mailbox und hinterließ eine vierte bei einer nicht sehr freundlichen Sekretärin in Bergers Dienststelle. Beim Mittagessen, das er auf dem überdachten Innenhof des Hotels einnahm, überlegte er, ob er sich vor dem Büro des Professors auf die Lauer legen sollte. Dann kam der Portier mit einem Zettel, auf dem eine Nachricht notiert war. Der gute Professor war einverstanden, sich um achtzehn Uhr dreißig mit Herrn Landau in der Gaststätte Atzinger in der Amalienstraße zu treffen.
Bis dahin waren fünf Stunden totzuschlagen. Da der Nachmittag klar und windig war, beschloß Gabriel, einen Spaziergang zu machen. Er verließ das Hotel und folgte einer schmalen gepflasterten Straße, die zum Südrand des Englischen Gartens führte. Langsam schlenderte er die Wege zwischen murmelnden Bächen und über weite, sonnige Wiesenflächen entlang. In der Ferne ragte der dreihundert Meter hohe Olympiaturm glitzernd in den kristallklaren blauen Himmel auf. Gabriel hielt den Blick gesenkt und ging weiter.
Dann verließ er den Park und bummelte durch Schwabing. In der Adalbertstraße sah er Frau Ratzinger die Stufen vor der Haustür Nummer 68 kehren. Er verspürte keine Lust, nochmals mit der Alten zu reden, deshalb bog er um die nächste Ecke und entfernte sich in die Gegenrichtung. Alle paar Minuten blickte er auf und sah vor sich den Olympiaturm, der allmählich größer wurde.
Nach gut einer halben Stunde erreichte er den Südrand des Olympischen Dorfes. In vieler Beziehung war der Olympiapark wirklich nur ein Dorf: ein weitläufiges Wohngebiet mit eigenem Bahnhof, eigenem Postamt und sogar einem eigenen Bürgermeister. Die aus Hohlblocksteinen gebauten Bungalows und Wohnblocks waren nicht mit Würde gealtert. Um dem Dorf eine heiterere Note zu geben, waren viele Gebäude mit grellbunten großflächigen Mustern bemalt worden.
Gabriel erreichte die Connollystraße, die keine richtige Straße, sondern ein Fußweg zwischen kleinen zweigeschossigen Apartmenthäusern war. Vor der Nummer 31 blieb er stehen. Im ersten Stock des Hauses trat ein Teenager mit nacktem Oberkörper auf den Balkon, um einen Läufer auszuschütteln. Gabriel dachte an damals zurück. Statt eines jungen Deutschen sah er einen Palästinenser mit tief ins Gesicht gezogener schwarzer Wollmütze. Dann kam eine Frau, die einen Kinderwagen schob und ein kleines Kind an sich gedrückt hielt, aus der Erdgeschoßwohnung. Einen Augenblick lang glaubte Gabriel, Issa, den Anführer des Schwarzer-September-Teams, zu sehen, wie er in seinem Safarianzug mit Golfmütze umherstolzierte.
Die Frau sah Gabriel an, als sei sie gewöhnt, daß Fremde mit ungläubigem Gesichtsausdruck vor ihrer
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