Die Loge
leicht vor und tastete mit der Hand den Oberrand des hinteren Kotflügels ab, bis er auf die kleine Magnethaftbox stieß. Mit einer Bewegung, die so geschmeidig und glatt war, daß Weiss sie wohl kaum wahrnahm, löste er die kleine Schlüsselbox ab.
Gabriel betätigte den Knopf am Schlüssel, der die Türen entriegelte. Dann riß er die Fahrertür auf, warf sein Gepäck auf den Beifahrersitz. Er sah nach rechts. Weiss kam mit panischem Gesichtsausdruck auf ihn zugerannt.
Er glitt hinters Lenkrad, rammte den Zündschlüssel ins Schloß und ließ den Motor an. Er stellte den Wahlhebel auf D, fuhr los, bog bei der ersten Gelegenheit rechts ab und verschwand im Abendverkehr der Großstadt.
Kommissar Axel Weiss war so hastig ausgestiegen, daß er vergessen hatte, sein Handy mitzunehmen. Jetzt trabte er den ganzen Weg zu seinem Wagen zurück und mußte erst kurz verschnaufen, bevor er die Nummer eingeben konnte. Im nächsten Augenblick meldete er dem Mann in Rom, der Israeli namens Landau sei entwischt.
»Wie bitte?«
Weiss berichtete es ihm verlegen.
»Haben Sie wenigstens ein Photo von ihm gemacht?«
»Heute nachmittag – im Olympiadorf.«
»Im Olympiadorf? Was zum Teufel hatte er dort zu suchen?«
»Er hat das Wohnhaus Connollystraße 31 angestarrt.«
»Ist es nicht dort passiert?«
»Ganz recht. Es ist nicht ungewöhnlich, daß Juden dorthin pilgern.«
»Ist es ungewöhnlich, daß Juden merken, daß sie beschattet werden und sich der Überwachung so geschickt entziehen?«
»Ich verstehe, was Sie meinen.«
»Schicken Sie mir das Photo – noch heute abend!«
Dann unterbrach der Mann in Rom die Verbindung.
7
B EI R IETI , L AZIO
Die Villa Galatina hatte etwas verstörend Schönes an sich. Die ehemalige Benediktinerabtei stand in den Hügeln von Lazio auf einem Granitpfeiler und schien mißbilligend auf das Dorf in dem bewaldeten Tal hinabzustarren. Im siebzehnten Jahrhundert kaufte ein großer Kardinal die Abtei und ließ sie in eine luxuriöse Sommerresidenz umbauen, in die Seine Eminenz vor der hochsommerlichen Hitze Roms flüchten konnte. Sein Architekt war so vernünftig, das Äußere der Abtei zu erhalten, so daß ihre gelbbraune Fassade noch heute mit sämtlichen Zinnen aufragt. An diesem Morgen Anfang März war auf der windumtosten Brustwehr ein Mann zu sehen. Er war nicht mit einer Armbrust, sondern einem leistungsfähigen Scharfschützengewehr der Marke Beretta bewaffnet. Der gegenwärtige Besitzer war ein Mann, der seine Sicherheit ernst nahm: Roberto Pucci, ein Finanzier und Industrieller, dessen Macht über das heutige Italien es sogar mit der eines Kirchenfürsten der Renaissance aufnehmen konnte.
Eine gepanzerte Mercedes-Limousine hielt vor dem Stahltor, wo sie von zwei Wachmännern in beigen Anzügen empfangen wurde. Der Mann auf dem Rücksitz ließ sein Fenster herunter. Einer der Wachmänner kontrollierte sein Gesicht, dann warf er einen Blick auf das unverwechselbare SCV-Kennzeichen der Limousine. Ein Vatikan-Kennzeichen. Roberto Puccis Tor öffnete sich und gab den Blick auf eine von Zypressen gesäumte asphaltierte Zufahrt frei. Einige hundert Meter weiter lag etwas erhöht die Villa Galatina.
Der Mercedes rollte langsam die Zufahrt hinauf und hielt auf einem mit Kies bestreuten Vorplatz unter schirmförmigen Pinien und Eukalyptusbäumen. Dort parkten schon zwei Dutzend Fahrzeuge, die von einem kleinen Heer von Leibwächtern und Chauffeuren umgeben waren. Der Mann auf dem Rücksitz stieg aus, ließ seinen eigenen Leibwächter zurück und ging über den Innenhof auf den Glockenturm der Kapelle zu.
Er hieß Carlo Casagrande. In Italien war sein Name für kurze Zeit in aller Munde gewesen, denn es war General Carlo Casagrande, Kommandeur der zur Terroristenbekämpfung aufgestellten Einheit L'arma dei Carabinieri, gewesen, der die kommunistischen Roten Brigaden zerschmettert hatte. Um seiner persönlichen Sicherheit willen war er berüchtigt für seine Kamerascheu, und außerhalb römischer Geheimdienstkreise hätten ihn nur wenige Leute auf der Straße erkannt.
Casagrande war schon viele Jahre nicht mehr bei der Antiterroreinheit. Im Jahr 1981, nur eine Woche nach dem Attentat auf Papst Johannes Paul II., hatte er den Dienst quittiert und war hinter den Mauern des Vatikans verschwunden. In gewisser Weise hatte Casagrande schon immer für den Heiligen Stuhl gearbeitet. Er übernahm die Leitung des Sicherheitsdienstes mit dem Versprechen, nie wieder werde ein Papst den Petersplatz
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