Die Loge
ein Kardinal in den schlichten Gewändern eines Dorfpfarrers. Die Mitglieder der Bruderschaft erhoben sich, und die Messe begann.
»In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.«
»Amen.«
Der Kardinal führte sie rasch durchs Eingangsritual, den Bußritus, das Kyrie und das Gloria. Er zelebrierte die Tridentinische Messe, denn zu den Zielen der Bruderschaft gehörte die Wiedereinführung der lateinischen Liturgie, der einigende Kraft zugeschrieben wurde.
Die Predigt griff die bei solchen Anlässen üblichen Themen auf: einen Ruf zu den Waffen, eine Ermahnung, im Angesicht der Feinde standhaft zu bleiben, und eine Aufforderung, die verderblichen Mächte des Liberalismus und Modernismus innerhalb der Gesellschaft und in der Kirche selbst auszurotten. Den Namen der Bruderschaft erwähnte der Kardinal dabei nicht. Im Gegensatz zu ihren nahen Verwandten wie Opus Dei, Legionen Christi und Gemeinschaft St. Pius X. existierte sie nicht offiziell, und ihr Name wurde niemals ausgesprochen. Untereinander bezeichneten die Mitglieder sie nur als »das Institut«.
Casagrande, der diese Predigt schon oft gehört hatte, gestattete sich, seine Gedanken abschweifen zu lassen. Er dachte über die Situation in München und den Bericht seines dortigen Mannes über den Israeli namens Landau nach. Er witterte weitere Probleme, eine unbestimmte Bedrohung der Kirche und der Bruderschaft selbst. Um damit fertig zu werden, würde er den Segen des Kardinals und das Geld Roberto Puccis brauchen.
»Hic est enim calix sanguinis mei«, verkündete der Kardinal. »Das ist der Kelch meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes, Geheimnis des Glaubens, das für euch und viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«
Casagrande konzentrierte sich wieder auf die Messe. Fünf Minuten später, als die eucharistische Liturgie beendet war, stand er auf und ging hinter Roberto Pucci zum Altar. Der Finanzier erhielt das Sakrament der Kommunion, dann trat Casagrande vor.
Kardinalstaatssekretär Marco Brindisi hielt die Hostie hoch, sah Casagrande in die Augen und sagte auf lateinisch: »Möge der Leib unseres Herr Jesus Christus deine Seele untadelig bewahren.«
»Amen«, flüsterte Carlo Casagrande.
Geschäftliche Dinge wurden niemals in der Kapelle besprochen. Dafür war Gelegenheit bei einem reichhaltigen Büfett, das in der mit Wandteppichen ausgestatteten großen Galerie mit Blick auf die Terrasse hergerichtet war. Casagrande war geistesabwesend und hatte keinen Appetit. Während seines langen Krieges gegen die Roten Brigaden hatte er in einer Reihe von Kasernen und unterirdischen Bunkern hausen und mit der rauhen Gesellschaft seiner Stabsoffiziere vorlieb nehmen müssen. Er hatte sich nie recht an das luxuriös privilegierte Leben hinter den Vatikanmauern gewöhnen können. Und er war nicht Feinschmecker genug, um wie die anderen für Puccis Küche zu schwärmen.
Er schob eine Scheibe Räucherlachs auf seinem Teller hin und her, während Kardinal Brindisi routiniert die Sitzung leitete. Obwohl Brindisi in der Vatikanbürokratie Karriere gemacht hatte, verabscheute er die Zirkelschlußlogik und Doppelzüngigkeit, die für die meisten Diskussionen innerhalb der Kurie charakteristisch waren. Der Kardinal war ein Mann der Tat, und wie er die Tagesordnung abarbeitete, hätte einem Konzernvorstand alle Ehre gemacht. Hätte er nicht das Priesteramt gewählt, dachte Casagrande, hätte er sehr gut Roberto Puccis schärfster Konkurrent werden können.
Die Männer an den Tischen betrachteten die Demokratie als eine zuchtlose und ineffiziente Regierungsform, und die Bruderschaft war – wie die römisch-katholische Kirche – keine Demokratie. Brindisi war Macht anvertraut worden, die er bis zu seinem Tod ausüben würde. In der Wortgebung des Instituts war jeder der Anwesenden ein Direktor. Er würde heimkehren und eine ähnliche Besprechung mit den ihm unterstellten Männern abhalten. So würden Brindisis Befehle in der gesamten weitverzweigten Organisation verbreitet werden. Kreativität oder selbständiges Handeln auf der mittleren Führungsebene wurden keinesfalls toleriert. Alle Mitglieder hatten bedingungslosen Gehorsam geschworen.
Über Casagrandes Arbeit wurde im Direktorium nie diskutiert. Er sprach nur vor dem Exekutivausschuß, was in diesem Fall bedeutete, daß er mit Brindisi und Pucci in einer Sitzungspause einen Spaziergang durch den herrlichen, in Terrassen angelegten Park der Villa Galatina machte. Brindisi, das Kinn hochgereckt,
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