Die Loge
erinnere, bin diesen Monat ich an der Reihe, General.«
»Schon möglich, Achille, aber unser heutiges Gespräch war besonders nützlich. Dieses Essen geht auf den Heiligen Vater.«
»Ich sage dem Heiligen Vater meinen Dank.« Bartoletti hielt die Aufnahme des potentiellen Papstattentäters hoch. »Und Sie können sicher sein, daß dieser Kerl verhaftet wird, wenn er sich ihm auf weniger als hundert Kilometer nähert.«
Casagrande bedachte seinen Gast mit einem melancholischen Blick. »Im Grunde wäre es mir lieber, Achille, wenn er nicht verhaftet würde.«
Bartoletti runzelte nachdenklich die Stirn. »Das verstehe ich nicht, General. Was möchten Sie, daß ich tue?«
Casagrande beugte sich so weit über den Tisch, daß sein Gesicht der Kerze gefährlich nahe kam. »Für alle Beteiligten wäre es besser, wenn er einfach verschwinden würde.«
Achille Bartoletti steckte das Photo ein.
12
W IEN
Die Sicherheitsmaßnahmen der vage benannten Organisation für ANSPRÜCHE UND ERMITTLUNGEN WEGEN KRIEGSSCHÄDEN waren schon immer streng gewesen, lange vor Ausbruch der Feindseligkeiten in den Palästinensergebieten. Die Organisation war in einem ehemaligen Wohngebäude im alten Wiener Judenviertel untergebracht; ihre unbezeichnete massive Tür war eigens verstärkt, und die auf den trübseligen Innenhof hinausführenden Fenster bestanden aus Panzerglas. Der Exekutivdirektor der Organisation, ein Mann namens Eli Lavon, war nicht paranoid, sondern nur vorsichtig. Im Lauf der Jahre hatte er mitgeholfen, ein halbes Dutzend ehemaliger KZ-Wächter und einen behaglich in Argentinien lebenden hohen Nazi aufzuspüren. Das hatte ihm einen stetigen Strom an Todesdrohungen eingebracht.
Daß er Jude war, verstand sich von selbst. Daß er israelischer Abstammung war, wurde wegen seines nichtdeutschen Familiennamens vermutet. Daß er kurz für den israelischen Geheimdienst gearbeitet hatte, war in Wien niemandem und in Tel Aviv nur einer Handvoll Leute bekannt, von denen die meisten längst im Ruhestand lebten. Während des Unternehmens »Zorn Gottes« war Lavon ein ajin , ein Fährtensucher, gewesen. Er hatte Mitglieder des Schwarzen September aufgespürt und beschattet, ihre Gewohnheiten beobachtet und sich überlegt, wie sie am besten zu liquidieren waren.
Normalerweise wurde kein Besucher in die Räume der Organisation eingelassen, ohne lange im voraus einen Termin vereinbart zu haben und gründlich überprüft worden zu sein. Bei Gabriel wurde jedoch auf alle Formalitäten verzichtet; eine junge Assistentin führte ihn sofort in Lavons Büro.
Proportionen und Einrichtung des Raums waren ein Musterbeispiel für Wiener Klassizismus: eine hohe Decke, glänzend gebohnertes Parkett, wandhohe Bücherregale, die sich unter dem Gewicht zahlloser Aktenordner und Folianten bogen. Lavon kniete mit gebeugtem Rücken über einer Reihe nebeneinander ausgelegter Schriftstücke auf dem Fußboden. Er war von Beruf Archäologe und hatte jahrelang auf der West Bank Altertümer ausgegraben, bevor er sich ganz seiner jetzigen Arbeit verschrieben hatte. Heute begutachtete er einen Fetzen Papier mit derselben wissenschaftlichen Neugier, mit der er einst fünftausend Jahre alte Tonscherben betrachtet hatte.
Er sah auf, als Gabriel den Raum betrat, und begrüßte ihn mit einem freudig überraschten Lächeln. Lavon gab nichts auf Äußerlichkeiten und schien wie immer angezogen zu haben, was ihm nach dem Aufstehen als erstes in die Hände gefallen war: eine graue Cordsamthose und einen braunen Pullover mit V-Ausschnitt und Löchern an den Ellbogen. Mit seinem wirren grauen Haar sah er aus wie ein Mann, der eine schnelle Cabriofahrt hinter sich hatte. Dabei hatte Lavon kein Auto und tat fast nichts schnell. Obwohl er in großer Gefahr lebte, fuhr er pflichtbewußt mit der Wiener Straßenbahn. Öffentliche Verkehrsmittel störten ihn nicht. Wie die Männer, die er jagte, verstand Lavon sich darauf, auf Großstadtstraßen unsichtbar zu bleiben.
»Laß mich raten«, sagte Lavon, ließ seine Kippe in einen Kaffeebecher fallen und rappelte sich auf wie ein Mann, der unter chronischen Schmerzen leidet. »Schamron hat dich losgeschickt, damit du wegen Benis Tod ermittelst. Und jetzt bist du hier, was bedeutet, daß du etwas Interessantes gefunden hast.«
»So ist es.«
»Setz dich«, sagte Lavon. »Erzähl mir alles.«
Gabriel, der auf Lavons Sofa hingelümmelt saß und die Beine auf die Armlehne gelegt hatte, berichtete ausführlich über seine
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