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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Ermittlungen, begann mit seinem Besuch in München und schloß mit seinem Gespräch mit Rabbi Zolli im Ghetto von Venedig. Lavon ging dabei in seinem Büro auf und ab und zog Zigarettenqualmwolken hinter sich her wie eine Dampflok. Anfangs bewegte er sich langsam, aber als der Bericht an Tempo gewann, wurde auch er schneller. Als Gabriel fertig war, blieb Lavon stehen und schüttelte den Kopf.
    »Du meine Güte, du bist aber fleißig gewesen.«
    »Was hat das alles zu bedeuten, Eli?«
    »Bleiben wir zunächst bei dem Anruf, den du in Brenzone im Hotel bekommen hast. Wer war deiner Meinung nach der Anrufer?«
    »Ich tippe auf das Faktotum aus dem Kloster – ein alter Knabe namens Licio. Er ist hereingekommen, als Mater Vincenza und ich miteinander gesprochen haben, und ich vermute, daß er mir auf dem Rückweg ins Hotel durch die Stadt gefolgt ist.«
    »Ich frage mich, weshalb er anonym angerufen hat, statt dich gleich anzusprechen.«
    »Vielleicht hatte er Angst.«
    »Das wäre die logische Erklärung.« Lavon vergrub seine Hände in den Hosentaschen und sah zu der hohen Zimmerdecke auf. »Weißt du bestimmt, daß du den Namen, den er genannt hat, richtig verstanden hast? Hat er wirklich Martin Luther gesagt?«
    »Richtig. ›Finden Sie Schwester Regina und Martin Luther. Dann wissen Sie, was im Kloster wirklich geschehen ist.‹«
    Lavon strich sich gedankenverloren das wirre Haar glatt, wie immer, wenn er nachdachte. »Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten. Einen gleichnamigen deutschen Mönch, der die römisch-katholische Kirche in eine Krise gestürzt hat, können wir ausschließen, denke ich. Folglich bleibt nur die andere übrig. Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
    Er verschwand nach nebenan. Einige Minuten lang drangen vertraute Geräusche an Gabriels Ohr, als sein alter Freund sich durch Aktenschränke wühlte und dabei in mehreren Sprachen fluchte. Schließlich kam er mit einer dicken Dokumentenmappe mit einer schweren Metallschließe zurück. Er legte sie auf den Couchtisch und drehte sie um, damit Gabriel die Beschriftung lesen konnte.
     
    MARTIN LUTHER, AUSWÄRTIGES AMT 1938-43
    Lavon öffnete die Mappe, zog ein Schwarzweißphoto heraus und hielt es hoch, damit Gabriel es sehen konnte. »Die andere Möglichkeit ist dieser Martin Luther. Er war ein Schulabbrecher und Möbelpacker, der schon in den zwanziger Jahren in die NSDAP eingetreten ist. Durch einen Zufall hat er Joachim von Ribbentrops Frau bei der Renovierung ihrer Berliner Villa kennengelernt und sich erst bei ihr und dann bei ihrem Mann eingeschmeichelt. Als Ribbentrop im Jahr 1938 Außenminister wurde, verschaffte er Luther einen Posten in seinem Ministerium.«
    Gabriel nahm Lavon das Photo aus der Hand, um es genauer zu betrachten. Ein Nagetier von einem Mann starrte ihm entgegen: ein schlaffes Gesicht, glatt zurückgekämmtes Haar und dicke Brillengläser, die wäßrige Augen vergrößerten. Er gab Lavon das Photo zurück.
    »Luther hat im Auswärtigen Amt rasch Karriere gemacht – vor allem aufgrund seiner sklavischen Unterwürfigkeit gegenüber Ribbentrop. Im Jahr 1940 war er bereits Leiter der Deutschlandabteilung des Ministeriums und in dieser Funktion für alle Kontakte zu sonstigen NS-Dienststellen zuständig. Innerhalb von Luthers Deutschlandabteilung gab es das Referat D3, das Judenreferat.«
    »Das heißt also, daß dieser Martin Luther im deutschen Auswärtigen Amt für alle jüdischen Angelegenheiten zuständig war.«
    »Genau«, sagte Lavon. »Was Luther an Bildung und Intelligenz fehlte, machte er durch Brutalität und Ehrgeiz wett. Ihn hat nur eines interessiert: der Ausbau seiner eigenen Machtstellung. Als ihm klar wurde, daß die Vernichtung der Juden zu den obersten Prioritäten des Regimes zählte, ergriff er Maßnahmen, um sicherzustellen, daß das Auswärtige Amt daran beteiligt wurde. Seine Belohnung war eine Einladung zum abscheulichsten Mittagessen der Geschichte.«
    Lavon machte eine Pause, während er den Inhalt der Mappe durchblätterte. Er fand das gesuchte Schriftstück, zog es mit großer Geste heraus und legte es Gabriel hin.
    »Dies ist das Protokoll der Wannsee-Konferenz, von keinem anderen als ihrem Organisator Adolf Eichmann verfaßt und ins Reine übertragen. Damals gab es nur dreißig Ausfertigungen, die bis auf die Nummer sechzehn alle vernichtet wurden. Das Original wurde bei der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse entdeckt und liegt heute im Archiv des deutschen Außenministeriums in Berlin.

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