Die Loge
lassen.«
Morgen würde er Alessio Rossi finden – und danach so schnell wie möglich aus Rom verschwinden.
Gabriel schlief schlecht und wurde durch Glockengeläut früh geweckt. Er öffnete die Augen und blinzelte ins grelle Sonnenlicht. Er duschte, zog frische Sachen an und ging dann nach unten in den Frühstücksraum. Die Kroaten waren nirgends zu sehen; die einzigen Gäste waren zwei religiös gesinnte amerikanische Rompilger und ein halbes Dutzend laut schwatzender Studentinnen aus Barcelona. Gabriel wunderte sich über die in der Luft liegende Aufregung, bis ihm einfiel, daß heute Mittwoch war – der Tag, an dem der Heilige Vater auf dem Petersplatz die Pilger begrüßte.
Um neun Uhr ging Gabriel in sein Zimmer hinauf und versuchte erstmals, Inspektor Alessio Rossi von der Polizia di Stato anzurufen. Die Vermittlung stellte ihn zum Anrufbeantworter des Kriminalbeamten durch. »Mein Name ist Heinrich Siedler«, sprach Gabriel auf Band. »Ich habe Informationen über die Monsignori Felici und Manzini. Sie können mich in der ›Pensione Abruzzi‹ erreichen.«
Gabriel legte auf. Was nun? Er konnte nur abwarten und darauf hoffen, daß der Kriminalbeamte ihn zurückrufen würde. In seinem Zimmer gab es keinen Fernseher. In den Nachttisch war ein Radio eingebaut, aber die Sendersuche funktionierte nicht.
Nach einer quälend langweiligen Stunde wählte er die Nummer zum zweiten Mal. Auch diesmal stellte die Vermittlung ihn sofort zu Rossis Anrufbeantworter durch. Gabriel hinterließ eine zweite Nachricht – mit identischem Inhalt, aber mit leicht drängendem Unterton in der Stimme.
Um elf Uhr dreißig rief er Rossi zum dritten Mal an. Diesmal wurde er mit einem Kollegen verbunden, der ihm erklärte, der Inspektor sei dienstlich unterwegs und komme erst am Spätnachmittag zurück. Gabriel hinterließ eine dritte Nachricht und legte auf.
Gabriel beschloß, die Gelegenheit zu nutzen, um aus seinem Zimmer herauszukommen. Auf den Straßen um die Kirche Santa Maria Maggiore herum kontrollierte er, ob er beschattet wurde, und konnte niemanden entdecken. Dann ging er die Via Napoleone III. entlang. Die Märzluft war frisch und klar, und er bildete sich ein, sie rieche nach Holzrauch. In einem Restaurant in der Nähe der Piazza Vittorio Emanuele II. aß er einen Teller Pasta. Nach dem Mittagessen ging er die hochaufragende Westfassade der Stazione Termini entlang und schlenderte danach durchs römische Regierungsviertel mit seinen klassischen Bauten, bis er das Präsidium der Polizia di Stato gefunden hatte. Im Café gegenüber trank er einen Espresso, beobachtete die ein- und ausgehenden Polizeibeamten und fragte sich, ob einer von ihnen Rossi war.
Gegen fünfzehn Uhr machte er sich auf den Rückweg ins »Abruzzi«. Als er die Piazza di Repubblica überquerte, erreichte gerade ein aus etwa fünfhundert Studenten bestehender Demonstrationszug, von der Università di Roma kommend, den Platz. Angeführt wurde dieser Zug von einem unrasierten jungen Mann mit einem Arafat-Kopftuch. Um die Taille hatte er einen nachgemachten Sprenggürtel geschnallt. Hinter ihm trugen vorgeblich Trauernde einen aus Pappkarton gebastelten Sarg. Als sie näherkamen, konnte Gabriel sehen, daß die meisten Demonstranten, auch der als Selbstmordattentäter verkleidete junge Mann, Italiener waren. Sie skandierten »Freiheit für Palästina!« und »Tod den Juden!« – nicht auf Arabisch, sondern auf Italienisch. Eine junge Italienerin, nicht älter als zwanzig, drückte Gabriel ein Flugblatt in die Hand. Es zeigte den israelischen Ministerpräsidenten mit Hitlerbärtchen und in SS-Uniform, wie er mit dem Absatz seines Schaftstiefels den Schädel eines Palästinensermädchens zerquetschte. Gabriel knüllte das Flugblatt zusammen und ließ es aufs Pflaster fallen.
Er kam an einem Blumenstand vorbei. Zwei Carabinieri flirteten ungeniert mit dem Mädchen, das dort arbeitete. Sie sahen kurz auf, als Gabriel vorbeiging, und starrten ihn mit unverhohlener Neugier an, bevor sie sich wieder dem Blumenmädchen zuwandten. Das hatte vielleicht nichts zu bedeuten, aber die Art und Weise, wie sie ihn gemustert hatten, bewirkte trotzdem, daß Gabriel in Schweiß ausbrach.
Auf dem weiteren Rückweg in die Pension ließ er sich Zeit und vergewisserte sich, daß ihm niemand folgte. Unterwegs kam er an einem gelangweilten Carabiniere vorbei, der auf seinem Motorrad in der Sonne saß und das hektische Treiben in einem Kreisverkehr ohne allzu großes
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