Die Loge
»Die Juden sind die neuen Nazis der Welt«, behauptete Husseini. »Auf der West Bank und im Gazastreifen wüten sie wie SS und Gestapo. Der israelische Ministerpräsident? Der ist ein Kriegsverbrecher, der nach dem Vorbild der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse abgeurteilt werden sollte.« Lange wartete geduldig den rechten Augenblick ab, rührte seinen zweiten Kaffee um und nickte an den richtigen Stellen weise. Husseini tat ihm unwillkürlich leid. Der Krieg war an ihm vorbeigegangen. Einst war er von Männern wie Raschid Husseini geführt worden: von Intellektuellen, die Camus im Original lasen und an den Stränden von St. Tropez naive deutsche Mädchen vögelten. Jetzt waren die alten Kämpfer von den Almosen der Europäer und Amerikaner fett geworden, während sich die Kinder, das kostbarste Gut Palästinas, vor israelischen Cafés und auf israelischen Märkten in die Luft sprengten.
Zuletzt warf Husseini mit einer hilflosen Geste die Hände in die Luft – wie ein alter Mann, der sich darüber im klaren ist, daß er andere nur noch langweilt. »Verzeih mir, Eric, aber die Leidenschaft geht einfach mit mir durch. Ich weiß, daß du heute abend nicht hier bist, um dir von den Leiden meines Volkes erzählen zu lassen. Worum geht es also? Suchst du Arbeit?«
Lange beugte sich über den Tisch »Ich frage mich, ob du vielleicht daran interessiert wärst, mir zu helfen, den Mann aufzuspüren, der unseren Freund in Tunis liquidiert hat?«
Husseinis Blick war plötzlich hellwach. »Abu Jihad? Ich war damals in seiner Villa. Ich bin als erster in sein Arbeitszimmer gekommen, nachdem diese israelische Bestie ihr Teufelswerk verrichtet hatte. Ich habe noch heute das Gekreisch seiner Frau und seiner Kinder im Ohr. Hätte ich die Chance, würde ich ihn liebend gern selbst umlegen.«
»Was weißt du über ihn?«
»Sein wahrer Name ist Allon – Gabriel Allon –, aber er ist schon unter Dutzenden falscher Namen aufgetreten. Er ist Restaurator. Hat seinen Beruf als Tarnung für Morde in ganz Europa benützt. Vor elf oder zwölf Jahren hat mein alter Freund Tariq al-Hourani in Wien eine Bombe unter Allons Wagen angebracht und seine Frau und seinen Sohn in die Luft gejagt. Der Junge ist dabei umgekommen. Was aus der Frau geworden ist, haben wir nie rausbekommen. Vor ein paar Jahren hat Allon sich dann in Manhattan an Tariq gerächt.«
»Ich erinnere mich«, sagte Lange. »Die Sache mit Arafat.«
Husseini zog die Augenbrauen hoch. »Du weißt, wo er ist?«
»Nein, aber ich denke, daß ich weiß, wohin er unterwegs ist.«
»Wohin?«
Lange sagte es ihm.
»Nach Rom? Rom ist eine große Stadt, mein Freund. Du mußt dich schon etwas genauer ausdrücken.«
»Er ermittelt wegen des Mordes an einem alten Freund. In Rom will er einen italienischen Kriminalbeamten namens Alessio Rossi aufsuchen. Beschattet Rossi, dann fällt euch der Israeli in den Schoß.«
Husseini schrieb den Namen in sein kleines, ledernes Notizbuch und sah dann auf. »Carabinieri? Polizia di Stato?«
»Letztere«, antwortete Lange, und Husseini schrieb PS in sein Notizbuch.
Der Palästinenser trank einen Schluck Wein und starrte sein Gegenüber eine Weile prüfend an, ohne etwas zu sagen. Lange konnte sich denken, welche Fragen Husseini durch den Kopf gingen. Wieso wußte Eric Lange, wohin der Israeli unterwegs war? Und weshalb wollte er ihn liquidieren lassen? Lange beschloß, diese Fragen zu beantworten, bevor Husseini sie stellen konnte.
»Er ist hinter mir her. Dabei geht es um eine persönliche Fehde. Ich möchte, daß er umgelegt wird, und du willst das auch. In diesem Punkt stimmen unsere Interessen überein. Arbeiten wir zusammen, läßt sich die Sache so aus der Welt schaffen, daß uns beiden geholfen ist.«
Über Husseinis Gesicht zog sich ein Lächeln. »Du warst immer ein cooler Bursche, was, Eric? Hast dich nie von Gefühlen leiten lassen. Die Zusammenarbeit mit dir hätte mir bestimmt Spaß gemacht.«
»Hast du in Rom genügend Leute, um einen Kriminalbeamten überwachen zu lassen?«
»Ich könnte den Papst beschatten lassen. Wenn der Israeli tatsächlich in Rom ist, spüren wir ihn auf. Aber das ist schon alles. Unsere Bewegung kann es sich nicht leisten, ausgerechnet jetzt in Europa einen Anschlag zu verüben.« Er zwinkerte Lange zu. »Schließlich haben wir dem Terrorismus abgeschworen. Außerdem sind die Europäer gegenwärtig unsere besten Freunde.«
»Ihr müßt ihn nur finden«, sagte Lange. »Den Rest könnt ihr mir
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