Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Kriminalbeamte zog sich einen Stuhl ans Fenster und starrte nochmals eingehend auf die Straße hinab. Dann löschte er das Licht und erzählte Gabriel die Geschichte von Anfang an.
    Monsignore Cesare Felici, ein alter, längst im Ruhestand lebender Geistlicher, verschwand an einem Juniabend aus seinem Zimmer im Kolleg San Giovanni Evangelista. Als der Monsignore am nächsten Abend noch immer nicht zurück war, beschlossen seine Mitbewohner, bei der Polizei eine Vermißtenanzeige zu erstatten. Da das Kolleg nicht den exterritorialen Status des Vatikans genoß, waren in diesem Fall die italienischen Behörden zuständig. Inspektor Alessio Rossi von der Polizia di Stato übernahm die Ermittlungen und fuhr dazu am frühen Abend ins Kolleg hinüber.
    Rossi hatte schon früher in Fällen ermittelt, bei denen der Klerus Opfer von Verbrechen geworden war, und gesehen, wie Geistliche lebten. Monsignore Felicis Zimmer erschien ihm ungewöhnlich spartanisch. Keine persönlichen Papiere irgendwelcher Art, kein Tagebuch, keine Briefe von Freunden oder Angehörigen, nur ein paar abgetragene Soutanen, ein zweites Paar Schuhe, etwas Leibwäsche und Socken. Ein abgenutzter Rosenkranz. Und ein cilicio .
    An diesem ersten Abend befragte Rossi zehn Personen. Alle erzählten das gleiche. Am Tag seines Verschwindens hatte der alte Monsignore seinen gewohnten Nachmittagsspaziergang im Garten absolviert, bevor er sich zu Gebet und Meditation in die Kapelle begeben hatte. Als er nicht zum Abendessen erschien, nahmen seine Mitbewohner an, er sei müde oder fühle sich nicht wohl. Niemand machte sich die Mühe, vor dem späten Abend nach ihm zu sehen. Dann zeigte sich, daß er verschwunden war.
    Der Leiter des Kollegs stellte Rossi ein neueres Photo von Monsignore Felici und eine Kurzbiographie zur Verfügung. Felici war kein kleiner Gemeindepfarrer gewesen. Er hatte praktisch seine gesamte Laufbahn als Kurienbürokrat im Vatikan verbracht. Wie der Leiter des Kollegs berichtete, hatte Felici zuletzt dem Stab der Kongregation für die Angelegenheiten von Heiligen angehört. Aber das war inzwischen zwanzig Jahre her.
    Nicht gerade viele Informationen, aber Rossi hatte Ermittlungen schon mit weniger begonnen. Am nächsten Morgen gab er die persönlichen Daten des vermißten Geistlichen in den Fahndungscomputer der Polizia di Stato ein und übermittelte dessen Photo an Polizeidienststellen in ganz Italien. Anschließend fragte er die Computerdatenbank nach weiteren, in letzter Zeit verschwundenen Geistlichen ab. Rossi hatte keinen intuitiven Verdacht, keine Arbeitshypothese. Er wollte lediglich sicherstellen, daß in Italien kein Verrückter herumlief, der katholische Priester ermordete.
    Was Rossi entdeckte, schockierte ihn. Zwei Tage vor Felicis Verschwinden war ein anderer Geistlicher vermißt gemeldet worden: ein Monsignore Manzini aus Turin. Wie Felici hatte Manzini früher im Vatikan gearbeitet, zuletzt in der Kongregation für Katholische Erziehung. Er hatte in einem kirchlichen Seniorenheim gewohnt und schien sich wie Monsignore Felici in Luft aufgelöst zu haben.
    Dieses zweite Verschwinden bewirkte, daß sich Rossi alle möglichen Fragen stellte. Hingen die beiden Fälle zusammen? Hatten sich Felici und Manzini gekannt? Hatten sie jemals zusammengearbeitet? Rossi gelangte zu dem Schluß, es sei an der Zeit, mit dem Vatikan zu reden. Er wandte sich an den vatikanischen Sicherheitsdienst und forderte die Personalakten der verschwundenen Priester an. Der Vatikan weigerte sich, diese im Original herauszugeben. Statt dessen erhielt Rossi ein Memorandum, das angeblich die Kurienlaufbahnen der beiden Geistlichen wiedergab. Diesem Memorandum zufolge hatten die beiden stets nur untergeordnete Stellungen bekleidet, eine trivialer als die andere. Rossi stellte frustriert eine letzte Frage: Kannten die Männer einander? Sie konnten sich bei Veranstaltungen begegnet sein, wurde ihm mitgeteilt, aber sie hatten nie zusammengearbeitet.
    Nach Rossis Überzeugung verheimlichte der Vatikan etwas. Er beschloß, den Sicherheitsdienst ganz zu umgehen und sich die vollständigen Personalakten selbst zu besorgen. Seine Frau hatte einen Bruder, der Geistlicher war und im Vatikan arbeitete. Rossi wandte sich hilfesuchend an den Schwager, der sich widerstrebend bereit erklärte, die Bitte zu erfüllen. Eine Woche später hatte der Inspektor Kopien der vollständigen Personalakten auf dem Tisch.
    »Haben sich die beiden gekannt?«
    »Das ist zu vermuten. Felici und

Weitere Kostenlose Bücher