Die Loge
Stahlblech des Wagenbodens war kalt. Der Fahrer ließ den Motor an und schaltete die Scheibenwischer ein. Er trug einen blauen Anorak, und seine blassen Hände, die das Lenkrad umfaßten, waren die eines Pianisten. Pazner nannte ihn Reuven.
Der Transporter fuhr ruckartig an, rollte durch den Torbogen, bog rechts ab und ordnete sich in den Verkehr ein. Weil er auf dem Wagenboden lag, konnte Gabriel nur ein Stück Nachthimmel und den Widerschein entgegenkommender Autoscheinwerfer erkennen. Er wußte, daß sie nach Westen unterwegs waren. Um die Kontrollpunkte auf den großen Durchgangsstraßen und der autostrada zu umfahren, hatte Pazner eine komplizierte Route durch das römische Labyrinth aus Neben- und Seitenstraßen ausgetüftelt.
Gabriel sah zu Chiara hinüber und stellte fest, daß sie ihn anstarrte. Er versuchte, ihren Blick zu erwidern, aber sie sah weg. Also legte er den Kopf an die Seitenwand und schloß die Augen.
Auf der kurzen Fahrt vom Aventin zum alten Palazzo hoch auf dem Gianicolo brachte Asiz Lange auf den neuesten Stand. Der PLO-Nachrichtendienst wußte seit einigen Jahren, daß Schimon Pazner ein Agent des israelischen Geheimdiensts war. Er war Pazner von Posten zu Posten gefolgt und hatte seine Laufbahn genau beobachtet. Hier in Rom, wo er vermutlich Stationsleiter war, wurde er ständig überwacht. An diesem Tag war Pazner schon zweimal – einmal frühmorgens und einmal am Spätnachmittag – in einem Apartment auf dem Gianicolo gewesen. Der PLO-Nachrichtendienst vermutete schon lange, daß dieses von den Israelis als sichere Wohnung benützt wurde. Die Sache basierte nur auf Indizien und Vermutungen, aber unter den gegenwärtigen Umständen erschien es plausibel, daß sich Gabriel Allon, der Mörder Abu Jihads, dort aufhielt.
In ihrem keine hundert Meter vom Tor des alten Palazzo entfernt geparkten Lancia hatten Lange und Asiz beobachtet und gewartet. Nur in zwei Wohnungen, deren Fenster zur Straße hinausgingen, brannte Licht – im ersten Stock und im Dachgeschoß. Alle Vorhänge der Dachgeschoßwohnung waren zugezogen. Lange registrierte die zu verschiedenen Zeiten eintreffenden Hausbewohner: zwei junge Männer auf einem motorino; eine Frau in einem winzigen Fiat; ein Mann mittleren Alters, der einen Trenchcoat trug und mit dem Bus kam. Außerdem bog ein dunkelgrauer VW-Transporter, der von einem blassen Mann in einer blauen Windjacke gefahren wurde, von der Straße in den Innenhof des Palazzo ab.
Lange sah auf die Uhr.
Zehn Minuten später kam der Transporter wieder durch den Torbogen gerollt, bog ab und beschleunigte rasch. Als er an ihnen vorbeiraste, stellte Lange fest, daß jetzt ein zweiter Mann auf dem Beifahrersitz saß. Mit einem derben Rippenstoß forderte er Asiz auf, die Verfolgung aufzunehmen. Der Palästinenser ließ den Motor des Lancias an, wartete noch einen Augenblick, wendete dann auf der Straße und fuhr hinter dem Transporter her.
Fünf Minuten nachdem sie die sichere Wohnung verlassen hatten, klingelte Schimon Pazners Handy. Er war vorsichtig genug gewesen, den Transporter von einem zweiten Fahrzeug mit einem weiteren Agententeam begleiten zu lassen, das sicherstellen sollte, daß sie nicht verfolgt wurden. Ein Anruf zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte zweierlei bedeuten: kein Anzeichen für eine Überwachung – Fahrt wie geplant fortsetzen, oder aber: Probleme – Ausweichmanöver einleiten.
Pazner drückte die grüne Taste und hielt das Handy ans Ohr. Eine Zeitlang hörte er schweigend zu, dann murmelte er: »Drängt sie bei erster Gelegenheit ab.«
Er drückte die rote Taste und sah zu dem Fahrer hinüber. »Wir haben Gesellschaft, Reuven. Beigefarbener Lancia, dritter Wagen hinter uns.«
Der Fahrer trat das Gaspedal durch, und der Transporter mit dem getunten Motor schoß nach vorn. Gabriel griff in seine Tasche und umfaßte den beruhigend soliden Griff der Beretta.
Als der Lieferwagen plötzlich beschleunigte, war das für Lange die Bestätigung dafür, daß Gabriel Allon darin transportiert wurde. Es bedeutete jedoch auch, daß sie entdeckt worden waren, das Überraschungsmoment verloren war und Allon nur durch eine wilde Verfolgungsjagd mit anschließender Schießerei liquidiert werden konnte, was eigentlich gegen alle Grundsätze Langes verstieß. Er tötete heimlich und unerwartet, tauchte überraschend auf und verschwand so unauffällig, wie er gekommen war. Schießereien waren etwas für Kommandos und Desparados, nichts für professionelle Killer.
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