Die Loge
allgemeinen Lebensmittelknappheit erhielten wir jeden Monat eine neue Vorratslieferung, so daß wir immer genug zu essen hatten. Wir hatten meistens sogar etwas übrig, um es an die Armen von Brenzone zu verteilen. Ich unterrichtete weiter und übernahm in dem bei uns eingerichteten Hilfslazarett auch die Pflege verwundeter Soldaten.
Eines Abends im März 1942 hielt die Äbtissin nach dem Essen eine kleine Ansprache, in der sie uns mitteilte, in drei Tagen werde bei uns eine wichtige Konferenz zwischen Bevollmächtigten des Vatikans und einer hochrangigen Delegation aus Deutschland stattfinden. Das Herz-Jesu-Kloster sei wegen seiner isolierten Lage und seiner prachtvollen Räumlichkeiten zum Konferenzort bestimmt worden. Sie erklärte uns, wir könnten alle stolz darauf sein, daß unser Haus für ein so wichtiges Treffen ausgewählt worden sei, und wir fühlten uns tatsächlich sehr geehrt. Die Äbtissin teilte uns weiterhin mit, Thema der Konferenz sei eine Initiative des Heiligen Vaters mit dem Ziel einer raschen Beendigung des Krieges. Uns wurde jedoch streng verboten, auch nur ein Wort von diesem Geheimtreffen an Außenstehende weiterzugeben. Nicht einmal untereinander durften wir darüber reden. Verständlicherweise fand in dieser Nacht keine von uns allzuviel Schlaf. Wir waren alle schrecklich aufgeregt, wenn wir daran dachten, was die kommenden Tage bringen würden.
Als Südtirolerin sprach ich natürlich Deutsch und kannte mich mit deutscher Küche und deutschen Sitten aus. Die Äbtissin bat mich, die Vorbereitungen für die Konferenz zu beaufsichtigen, und ich übernahm diese Aufgabe bereitwillig. Mir wurde mitgeteilt, die Teilnehmer würden sich nach einem gemeinsamen Abendessen zu vertraulichen Beratungen zurückziehen. Meiner Überzeugung nach war unser Speisesaal für einen Anlaß dieser Art viel zu schlicht, deshalb beschloß ich, Essen und Konferenz in unserem Gemeinschaftsraum stattfinden zu lassen. Ein wundervoller Raum mit einem großen offenen Kamin und herrlicher Aussicht auf den See und die Berge – eine wahrhaft inspirierende Umgebung. Die Äbtissin war damit einverstanden und ließ mich auch die Möbel umstellen, wie ich es für richtig hielt. Das Abendessen sollte an einem großen runden Tisch an einem der Fenster serviert werden. Für die anschließende Besprechung stand ein langer Refektoriumstisch vor dem Kamin bereit. Ich wollte, daß alles perfekt aussah, und als ich fertig war, war der Raum wirklich ein Schmuckstück. Ich genoß das Gefühl, durch meine Arbeit vielleicht ein wenig dazu beizutragen, den Tod und die Vernichtung, die der Krieg über Europa gebracht hatte, rasch zu beenden.
Am Vortag der Konferenz traf eine große Lieferung Lebensmittel ein: nicht nur Brot, Wurst, Käse und Schinken, sondern auch Kaviardosen, erlesene Weine und Champagner – alle möglichen Delikatessen, die viele von uns noch nie gekostet hatten, erst recht nicht mehr seit Kriegsausbruch. Am nächsten Tag bereitete ich mit Hilfe zweier Schwestern ein köstliches Mahl zu, das den hohen Herren aus Rom und ihren Besuchern aus Berlin bestimmt munden würde.
Die Delegationen sollten bis achtzehn Uhr eintreffen, aber an diesem Tag schneite es so stark, daß alle Verspätung hatten. Die Abgesandten des Vatikans trafen als erste ein – gegen zwanzig Uhr dreißig. Sie waren zu dritt: Bischof Sebastiano Lorenzi vom Staatssekretariat und die Patres Felici und Manzini, seine beiden jungen Assistenten. Bischof Lorenzi besichtigte den vorbereiteten Konferenzraum und führte uns dann in die Kapelle, um die Messe zu lesen. Anschließend wiederholte er die Ermahnung der Äbtissin, niemals über das Treffen dieses Abends zu sprechen, und fügte hinzu, wer gegen diesen Befehl verstoße, müsse damit rechnen, exkommuniziert zu werden. Diese Warnung erschien mir ziemlich überflüssig, weil doch keine von uns gegen die Anweisungen eines Bischofs verstoßen hätte, aber ich wußte, daß Männer der römischen Kurie sehr großen Wert darauf legten, daß befohlene Geheimhaltung strikt befolgt wurde.
Die Delegation aus Deutschland traf erst kurz vor zweiundzwanzig Uhr ein. Auch sie bestand aus drei Männern: dem Chauffeur, der nicht an der Besprechung teilnahm, einem Assistenten, der Herr Beckmann hieß, und dem Delegationsleiter: einem Beamten aus dem deutschen Außenministerium namens Staatssekretär Martin Luther. Diesen Namen werde ich nie vergessen. Man stelle sich das vor – ein Martin Luther im römisch-katholischen
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