Die Logik des Verruecktseins
imperativer Weise auf sie einsprach. Sie war felsenfest überzeugt, dass er sie eines Tages zu sich nach England holen werde und sie die Königin von England würde.
In die Klinik kam sie mit der Unterstützung ihres geduldigen Ehemannes immer dann, wenn die Stimmen zu bedrängend wurden und sich sogenannte Meinhaftigkeitsstörungen einstellten, in deren Folge sich die Patientin in ihrem Denk- und Handlungsablauf unangenehm und beängstigend beeinträchtigt und beeinflusst fühlte. Sie hatte dann den Eindruck, dass ihre privatesten Geheimnisse öffentlich bekannt seien, sie darüber hinaus in ihren Gedanken, Gefühlen und Bewegungen fremdgesteuert und gegen ihren Willen beeinflusst werde. Es war, als verschmelze sie dann mit Prinz Charles zu einer Personenkonfiguration und verliere dabei ihren personellen innerlichen Kern. 32 Der Aufenthalt in der Klinik mit diskreter Veränderung der Dauermedikation wirkte immer ausreichend entängstigend
und konnte die psychotische Überflutung zurückdrängen. Völlige Remission der Symptomatik war viele Jahre nicht mehr gelungen und auch kein Behandlungsziel mehr. Die Patientin lebte dauerhaft in einer privaten Parallelwelt, in der die neusten »updates« der Windsorfamilie und ihre Skandale nicht mehr eindrangen. So hatte sie nie wirklich realisiert, dass Charles und Diana seit 1996 offiziell geschieden waren.
Eines Tages suchte mich die Patientin während des stationären Aufenthalts aktiv auf und erklärte mir, dass sie sich verabschieden wolle. Morgen werde sie endlich und endgültig von Prinz Charles abgeholt und nach England gebracht. Sie habe heute wieder seine Stimme gehört und er habe erklärt, vom nächsten Tag an für sie frei zu sein. Näheres könne sie mir aus Gründen der Staatsräson nicht mitteilen. Sie packte erstmalig ihre Sachen und wartete auf den nächsten Tag. Das Behandlerteam machte sich keine weiteren Gedanken, natürlich würde Prinz Charles trotz seiner »Ankündigung« nicht kommen. Der nächste Tag war der 31. August 1997. Diana verunglückte tödlich in Paris bei einem Verkehrsunfall. Der Weg zu Prinz Charles war frei …
Optische Seelentäuschungen
In einer evolutionspsychiatrischen Lesart haben beide Patientinnen ihre evolvierte Partneridee projiziert, also der Welt in Bezug auf Partnerchancen etwas an Mehrbedeutung unterstellt, was sie so nicht bereithält. Beide Patientinnen unterliegen also einer Art optischen Seelentäuschung in Partnerfragen: die erste Patientin aufgrund einer körperlich begründeten Erkrankung des Gehirns, die zweite Patientin in Folge der schwerwiegenden psychotischen Symptombildung einer sogenannten Schizophrenie. Beide Erkrankungen führen aus unterschiedlichen Gründen zu einer Beeinträchtigung des Gehirns, die das gleiche Thema, nämlich die evolvierte Partneridee, freisetzt und zur Projektion freigibt. Beide Erkrankungen sind somit als eine Chiffre des Aufbaus der menschlichen Seele zu verstehen. Auf diesen
Punkt werden wir zurückkommen, zunächst aber hier schon so viel: Eine Psychopathologie, die nach Themenfeldern und geografischen Ereignisräumen die verschiedenen psychiatrischen Phänomene unabhängig ihrer nosologischen Entstehung ordnet, kann Aussagen über den seelischen Strukturaufbau des Menschen treffen. Alle Menschen können anhand des Phänomens Psychopathologie lernen, wie wir wurden und wer wir sind.
Die beiden unterschiedlich begründeten Krankheitsbilder zeigen noch etwas. Je schwerer die Störung ist, desto weiter ist die evolvierte Partneridee von der Realität entfernt. 33 Die erste Patientin war dem Oberarzt ja tatsächlich begegnet, ein intimes Interesse des Oberarztes an ihr war zumindest theoretisch denkbar. Die zweite Patientin hatte niemals persönlichen Kontakt zu Prinz Charles gehabt, was sie nicht davon abhielt, ein Intimverhältnis »zu erfinden«.
Der Liebeswahn, auch Erotomanie genannt, ist wie manche andere psychiatrische Erkrankung unter den Geschlechtern nicht gleichmäßig verteilt. Bekanntlich ist er bei Frauen viel häufiger anzutreffen als bei Männern, da Frauen, den obigen Ausführungen folgend, eine dringlichere und spezifischere Partneridee in sich tragen als Männer. Die durch die Evolution bereitliegende Partnerwahlidee ist deshalb bei Frauen in der Folge von Funktionsstörungen des Gehirns, etwa im Rahmen von Schlaganfällen oder schizophrenen Psychosen, rascher zu »mobilisieren« als bei Männern, weshalb Frauen leichter und somit statistisch häufiger an
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