Die Logik des Verruecktseins
Liebeswahn erkranken. Die anders kaum erklärliche Geschlechterdifferenz wird so plötzlich verständlich.
Noch einmal sei auch in diesem Zusammenhang auf folgende Kausalität hingewiesen: Die Symptombildung »Liebeswahn« ist nicht direkte Folge der cerebralen Funktionsstörung. Diese verringert vielmehr »nur« die Präsenzkraft höherer, realitätsnäherer, rückkopplungsfähiger, aber eben auch empfindlicherer Komplexleistungen des Gehirns. Durch deren Schwächung kommen tiefer liegende, realitätsfernere, rückkopplungsfreiere und robustere Denk-Fühl-Handlungs-Trinitäten zum Tragen, die dazu ihre Weltinterpretationenkarte ausspielen können und ausspielen müssen.
Das Phänomen des »Stalkers«
Liebeswahn liegt allerdings meistens nicht, wie häufig behauptet, bei Menschen vor, die andere »stalken«. Der Begriff stammt aus der englischen Jägersprache und bedeutet so viel wie »auf die Pirsch gehen«. Stalker verfolgen ihre Opfer, beobachten sie, lauern ihnen auf, rufen sie an oder schicken unerwünschte Mails. Teilweise kommt es zu Tätlichkeiten, manchmal sogar zu Tötungsdelikten, weshalb der Tatbestand des Stalkens als strafrechtlich relevantes Verhalten eingeführt worden ist. Meistens sind Männer die Täter, Ausnahmen kommen aber auch hier vor. Das Phänomen des Stalkens wird von unterschiedlichen psychopathologischen Richtungen kommend ausgelöst, meistens handelt es sich wohl um selbstwertschwache Individuen mit erheblichem (offenen oder teilweise verdeckten) Aggressionspotential und gestörter Liebesfähigkeit. Im Gegensatz zum Liebeswahn bestand präpathologisch häufig eine partnerschaftliche oder atmosphärisch dem sich anlehnende Beziehung zum Opfer, das dann irgendwann aus guten Gründen den Kontakt abgebrochen hatte. Vorher durchaus bestehende Verliebtheit oder Schwärmerei der Männer schlägt dann um in Eifersucht und schließlich Hass auf das Opferobjekt. Immer wieder wird das Opfer aufgesucht, beschimpft, der Lüge bezichtigt und bedrängt, wobei sich die Täter selbst als Opfer erleben und großes Mitleid mit sich haben.
Menschen mit reinem Liebeswahn hingegen suchen in der Regel das Objekt ihrer »Liebe« nicht auf. Sie gleichen eher einem an der Bushaltestelle Wartenden, der in gelassener Vorfreude auf das Kommen des Busses da steht, diesem aber nicht entgegengeht, um die Vorfreude nicht zu verkürzen. Stalker andererseits haben selbstverschuldet den Bus verpasst und laufen diesem zürnend und anklagend hinterher, voller Hass auf die Welt, die sie nicht mitgenommen hat, und destruktivem Neid auf diejenigen, die ihrer Meinung nach ungerechtfertigterweise mitfahren durften. Der Neid und die Eifersucht, welche Stalker entladen, erinnern an den Eifersuchtswahn, ist aber dennoch von diesem strukturell zu unterscheiden. Stalkern geht es um Abrechnung und eigengesetzliche Wiedergutmachung angeblich
erlittenen Unrechts. Das verfolgte Opfer wird nicht »verliebt« geschont, sondern »entliebt« geplagt. Es wird kein Intimverhältnis mehr fantasiert, sondern eine vermeintliche Demütigung in die Zurückweisung hineinprojiziert. Die »Eifersucht« der Stalker verteidigt nicht eine Beziehung, sondern will Alternativbeziehungen aufgrund der erlittenen und vermeintlich absichtlich zugeführten Kränkung zerstören.
Wie sieht es hingegen beim klinischen Eifersuchtswahn als monothematische Psychose aus? Welche Rolle könnten welche evolutionär gewachsenen Reproduktionsstrategien bei der Entstehung des Eifersuchtswahns spielen?
Im Eifersuchtswahn: Gefährdungen für Männer
Männer haben eine andere Partnerschaftspräferenz und ein anderes Problem mit anderen daraus folgenden Psychopathologievulnerabilitäten als Frauen. Wie alle Säugetiermännchen können sie sich über einen wichtigen Punkt im Reproduktionsgeschehen nicht eindeutig sicher sein, nämlich über ihre Vaterschaft. Männer leben mit einem gewissen »Restrisiko«, in Kinder zu »investieren«, deren Väter sie nicht sind. Sie mühen sich also z.B. als »Schienenbeißer« ab, gehen hohe Risiken in der Nahrungsbeschaffung ein und betreuen Junge in ihrem Nest, welche unter Umständen Gene von anderen Männchen tragen. Sie sind dann am Bahnsteig des Lebens unfreiwillige und nicht bezahlte Kofferträger für andere, können selbst aber nicht mit ihren Genen in den Evolutionszug einsteigen. Diejenigen Männchen der Art der »Schienenbeißer«, die ständig in der Nähe ihrer reproduktionsfähigen Weibchen bleiben und diese verfolgend
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